"Start where people are"

Dezentrale, angepasste Gesundheitsförderung

Von Felix Küchler

Die eigene Gesundheit wird den meisten erst bewusst, wenn sie beeinträchtigt ist. Dann leistet das kurative System unersetzliche Dienste. Weiter ist die krankheits- und unfallspezifische Prävention sowohl für die Gesundheit von Individuen wie Bevölkerungen wichtig. Über das Kurative und Präventive hinaus kann aber Gesundheit auch allgemein und interdisziplinär gefördert werden.

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Gesundheit definiert sich nicht nur über die Abwesenheit von Krankheit, sondern auch über das psychische und soziale Wohlbefinden. Gesundheit und Lebensqualität werden subjektiv erlebt und können zum Teil objektiv gemessen werden. Die Entfaltung des Lebens ist nur möglich, wenn die minimalen Lebensgrundlagen vorhanden sind. Zudem steht das Individuum in steter Wechselwirkung mit der Gesellschaft und deren Erwartungen, Normen und Werten.

Gesundheit und Gesundheitsförderung sind "hausgemacht"

Die Einzelnen selbst und ihre Familien tragen am meisten zur eigenen Gesundheit bei. Dies geht weit über Körperpflege und Hygiene hinaus. Ständig mobilisieren wir sogenannte salutogene Ressourcen: Lachen, Gähnen, Schlaf, Hobbys, gute Nachbarschaft, um nur einige zu nennen. Gesundheitsbestimmend sind das tägliche Verhalten und die Verhältnisse, die Lebensumstände, denen man ausgesetzt ist oder in die man sich begibt.

Gesundheitsförderung will das angeborene Gesundheitskapital bewahren und stärken. Jede und jeder ist mit einem Schatz an Gesundheit auf die Welt gekommen. Dieser Vorrat an Gesundheit kann vergrössert werden. Ein Beispiel: Je höher die in jüngeren Jahren aufgebaute Knochendichte, desto weniger tritt Osteoporose im Alter auf.

Der Begriff des "Social Capital" weitet den Blick auf die gesellschaftliche Dimension aus. Vertrauen, gegenseitige Unterstützung, Austausch von Wissen, Erfahrungen und materiellen Ressourcen sind nur einige Vorteile eines starken sozialen Netzwerkes. Diese gesellschaftliche Kohäsion hat nachweisbar positive Wirkung auf die psychische und auch physische Gesundheit.

Die Prävention richtet ihr Augenmerk auf Gefahren und Risikofaktoren, die zu Krankheiten oder Unfällen führen (Pathogenese). Gesundheitsförderung sucht dagegen nach Chancen für die Gesundheit. Sie orientiert sich an der neuen Wissenschaft der Salutogenese. Die Forschungsfrage lautet nun: Was erhält die einen Menschen gesund, wo doch andere unter denselben Belastungen krank werden?

Seit Urzeiten haben alle schon immer Gesundheitsförderung betrieben. Zur Entfaltung des Lebens gehören die Lust am Trinken und Essen und an der Sexualität, das natürliche Bedürfnis nach Bewegung und Entspannung sowie all die sozialen und kulturellen Komponenten. Weshalb war es denn nötig, im Jahre 1986 in Ottawa eine Charta der Gesundheitsförderung zu schreiben?

Ein Grund war wohl die zunehmende Medikalisierung unseres Lebens. Die Fortschritte der kurativen Medizin ziehen Aufmerksamkeit und Finanzflüsse an. Das tägliche sich selbst Sorge Tragen ist für die Wirtschaft wenig attraktiv. Gesundheitsförderung kann und soll jedoch vermehrt und konsequenter umgesetzt werden, von Einzelnen und Gruppen, in Bezug auf das Verhalten wie auch die Verhältnisse. Daraus könnten ein beträchtlicher Gewinn an Lebensqualität und grössere Selbstbestimmung und Unabhängigkeit resultieren.

Community Participation und Empowerment

Die aktive Beteiligung der Individuen und Gemeinschaften ist entscheidend für das Gelingen eines Gesundheitsprojektes. Partizipation wird aber unterschiedlich verstanden. Soll die Bevölkerung dazu angehalten werden, bei einem vordefinierten Programm mitzumachen? Oder werden die Bedürfnisse und Potentiale der Leute ergründet, um dann gemeinsam mit ihnen zu planen, umzusetzen und zu evaluieren?

Echte Partizipation erfordert das Vermitteln von Wissen und Können sowie das Teilen von Entscheidungsmacht und das Übergeben von Finanzkraft an die Bevölkerungsgruppe und ihre Vertreter. Von der Gemeinde initiierte und getragene Gesundheitsaktionen (Community Action for Health) werden in autoritären, vertikalen Systemen kaum zugelassen werden. Empowerment hat damit zu tun, Eigenverantwortung nicht nur zu verlangen, sondern zu erlauben und zu ermöglichen.

Ressourcenorientierte Gemeindebeteiligung

Es macht einen Unterschied, ob lediglich nach Gesundheitsproblemen gefragt wird oder auch gleichzeitig nach lokalen Ressourcen für Gesundheit. Eine partizipativ gestaltete Erhebung über die "Community Capacity" ist ein guter erster Empowerment-Schritt. Möglichkeiten und Potenziale werden gesucht und bewusst gemacht. Die Fähigkeiten und Talente der Leute und gesellschaftlichen Gruppierungen zu Sport, Kunst und Kultur können gesundheitsbezogen genutzt und gestärkt werden. Das lokale Handwerk kann beispielsweise Seife vor Ort herstellen. Dies hat den Vorteil, dass das Geld in lokaler Zirkulation bleibt. Ebenso sollten Finanzinstitute gemeindeorientiert handeln und lokal investieren.

Die Schulen, das Lokalradio, die Gesundheits- und Sozialstrukturen können vermehrt für Gesundheitsförderung aktiv werden. Gelingt es der Bevölkerung und ihren Vertretern, Entscheidungsbefugnis über staatliche Gelder zu erlangen, so können diese oft effizienter und zweckmässiger eingesetzt werden.

Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten steigt, die Abhängigkeit von äusserer Hilfe nimmt ab. Ständige Anpassungen können unbürokratisch vorgenommen werden. Nachhaltigkeit ist dann gegeben, wenn die gesellschaftlichen Prozesse lebendig bleiben und sich weiterentwickeln.

Die tatsächlich vorhandenen, immer beschränkten Ressourcen werden die Prioritätensetzung wesentlich mitbestimmen. Welcher Familie in einem Entwicklungsland nützt eine teure Behandlung eines geschwächten Kindes, wenn dann monatelang alle hungern müssen? Oder: wie lange noch können wir es uns in den industrialisierten Ländern leisten, mehr für das Reparieren von vermeidbaren Schäden als für das Erhalten und Fördern von Gesundheit ausgeben?

*Felix Küchler, Vorstandsmitglied des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz, ist Arzt mit einem Nachdiplomstudium in Gesundheitsförderung. Er war während zehn Jahren im ländlichen Westafrika in Basisgesundheitsprojekten tätig. Jetzt ist er Mitglied der Geschäftsleitung der nationalen Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz und steht dem Bereich Bildung und Dienstleistungen vor. Gesundheitsförderung soll in alle gesundheitsrelevanten Aus- und Weiterbildungen integriert werden. Informations- und Dokumentationsstellen sowie die jährliche nationale Konferenz dienen dem Wissens- und Erfahrungsaustausch für das noch junge Feld der Gesundheitsförderung.

Anmerkungen / Literatur

1. Hawe P, Shiell A. Social capital and health promotion: a review. Social Science and Medicine 51(2000) 871-885

2. Antonovsky, A. Unraveling the mystery of health. San Francisco: Jossey Bass. 1987

3. Green L. The Theory of Participation: A qualitative analysis of its expression in national and international health policies. Advances in Health Education and Promotion, Vol 1 (1986) 211-236

4. McKnight J, Kretzmann J. Mapping Community Capacity. In: Minkler M. (ed) Community Organizing and Community Building for Health. Rutgers 1999