Ruf nach philippinischem Gesundheitspersonal

Programmierte Fehlentwicklungen für die Philippinen und die Schweiz

Von Martin Leschhorn Strebel

Die Schweiz hat ein Stagiaire-Abkommen mit den Philippinen ausgebaut, um über dieses Pflegefachleute rekrutieren zu können. Was noch auf schmaler Flamme als Pilotprojekt läuft, könnte bald schon ausgebaut werden. Analysen in diesem Bulletin zeigen aber, dass es sich dabei um eine ziemlich schlechte Idee handelt.

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Unison Filipino Nurses, October 2012 (flickr/tomylees)

Mit der Lancierung des Manifestes „Den Gesundheitspersonalmangel nicht auf Kosten der Ärmsten beheben“ ist die Rekrutierung von PflegerInnen aus den Philippinen in der Öffentlichkeit besonders diskutiert worden. Das Bundesamt für Migration war anfangs Januar 2012 daran ein bestehendes Stagiaire-Abkommen mit den Philippinen auf den Gesundheitsbereich auszudehnen. Angesichts des Gesundheitspersonalmangels in der Schweiz ist es Ziel, dieses Abkommen als Pilotprojekt zu nutzen, um in Zukunft verstärkt Gesundheitspersonal aus den Philippinen zu beziehen.

Da das Philippinische Gesundheitssystem in ländlichen Gebieten äusserst schwach ist, hat das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz davor gewarnt, bedenkenlos auf den Philippinen Gesundheitspersonal zu rekrutieren. Gegenüber der Nachrichtensendung „Heute Morgen“ von Radio DRS meinte dazu die Nationalrätin Doris Fiala, Mitglied des Runden Tisches Migrationspolitik, es sei angesichts des schweizerischen Mangels blauäugig und romantisch auf die Rekrutierung aus Ländern wie den Philippinen verzichten zu wollen.

Das Bulletin möchte gerne auf diese Absicht einen genaueren Blick werfen. Im nachfolgenden Beitrag geht Annette Hug von der Gewerkschaft vpod den gewerkschaftlichen, den entwicklungs- und migrationspolitischen Implikationen des Abkommens mit den Philippinen ausführlich auf den Grund. Sie war selbst auf den Philippinen und hat zum Thema mit verschiedenen gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen gesprochen. Ihr Fazit ist ernüchternd – eigentlich müsste auf die Rekrutierung aus den Philippinen ganz verzichtet werden.

WHO-konforme Umsetzung sicherstellen

Ich möchte hier mit einer leicht anderen Fragestellung der Rekrutierung von Gesundheitspersonal aus den Philippinen nachgehen: Ist ein solches Abkommen mit den Philippinen WHO-konform? Handelt es sich bei den Philippinen nicht um einen Sonderfall, und was bedeutet die Abhängigkeit von Gesundheitspersonal aus Fernost für die Gesundheitsversorgung hier?

Nach dem WHO-Kodex muss von einer Rekrutierung in einem Land abgesehen werden, wenn dort ein sogenannter kritischer Mangel an Gesundheitspersonal besteht. Dies ist dann der Fall, wenn es vor Ort weniger als 2,3 Gesundheitsfachkräfte pro 1000 EinwohnerInnen hat. Dies ist auf den Philippinen augenscheinlich nicht der Fall: Das Land ist bekannt dafür, dass es Pflegefachleute und ÄrztInnen eigens dafür ausbildet, damit diese im Ausland arbeiten können.

Gemäss dem Kodex sollte aber ein Abkommen Entschädigungen für das Gesundheitssystem des Herkunftslandes vorsehen, damit dieses gestärkt werden kann. Dies ist im bestehenden Stagiaire-Abkommen nicht der Fall, was mit dem kleinen Rahmen des Pilotprojektes gerechtfertigt werden kann. Sollte das Abkommen aber ausgedehnt werden und ähnliche Abkommen mit anderen Schwellen- oder Entwicklungsländern ins Auge gefasst werden, kommt die Schweiz nicht darum herum dieses Thema umfassend zu regeln.

Philippinen als Sonderfall?

Die Philippinen erscheinen auf den ersten Blick als ein Sonderfall der Rekrutierungsdebatte. Das philippinische Wirtschaftssystem baut auf die Migration von Arbeitskräften – insbesondere Kinderhütefrauen und Gesundheitspersonal. Unter diesem Aspekt erscheint es geradezu als normal, wenn sich verschiedene Länder auf diesem Markt bedienen, um Lücken in der eigenen Ausbildung zu schliessen. Hören wir dann noch, dass auf den Philippinen über 275'000 Pflegefachkräfte arbeitslos sind, scheint klar: Auf den Philippinen kann ohne Problem Gesundheitspersonal rekrutiert werden.

Annette Hug zeigt in ihrem Beitrag in diesem Bulletin, dass dies zu kurz greift. Das Gesundheitssystem der Philippinen ist schwach. Sollte das Recht auf Gesundheit für alle sichergestellt werden, bräuchte es laut Schätzungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen rund 200'000 zusätzliche Fachkräfte. Geht man also einzig von der Anzahl arbeitslosen Pflegefachleuten und nicht vom tatsächlichen Bedarf im Herkunftsland aus, bleiben Rekrutierungen ethisch fragwürdig.

Mit ihren gesundheitlichen Problemen und einer schwachen Gesundheitsversorgung vor allem im ländlichen Raum sind die Philippinen kein Sonderfall sondern ein typisches Schwellenland. In einem Abkommen mit den Philippinen muss die Schweiz genau hinschauen und aushandeln, wie die gesundheitliche Situation der Bevölkerung verbessert werden kann.

Weg aus der Armutsfalle?

Die Schweiz muss auch berücksichtigen, dass die forcierte Ausbildung von Gesundheitsfachkräften zu Fehlentwicklungen geführt hat, welche die Armut der Menschen nicht reduziert sondern verschärft. Sarah Boseley schreibt im Guardian, dass 2010 auf den Philippinen 50’000 Pflegefachleute ausgebildet wurden – doch nur 13'000 hätten tatsächlich eine Stelle im Ausland gefunden. 37'000 blieben zurück mit wenig Möglichkeit, eine Anstellung auf den Philippinen zu finden. Für das falsche Versprechen, ein gutes Auskommen für die Töchter im reichen Norden zu finden und ein Einkommen für die ganze Familie auf den Philippinen zu schaffen, haben sich viele verschuldet. (Boseley 2011)

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Politik der philippinischen Regierung, Gesundheitspersonal für die Migration auszubilden, im Land selbst auf harsche Kritik stösst. Die Organisation Health Alliance for Democracy schrieb 2008 in einem Positionspapier: „What was once a “brain drain” has become a “national hemorrhage” afflicting the entire Philippine healthcare system. Sadly, the exsanguination of nurses, doctors, and other health personnel will continue for as long as the national government regards them as commodities for trade, exports them under the guise of “global competitiveness, and depends on their dollar-denominated remittances to keep the economy afloat.” (HEAD 2008) Annette Hug weist in ihrem Beitrag auf weitere kritische Stimmen hin, wenn auch nicht alle so radikal ablehnend sind, wie diejenige der HEAD. Auf jeden Fall zeigen sie, dass ein Abkommen mit den Philippinen eine politisch ziemlich sensible Angelegenheit ist, was durch die Schweiz keinesfalls einfach ignoriert werden sollte.

Irland: Nursing Crisis

Nun kann man darauf hinweisen, dass andere Länder bereits seit längerem intensiv philippinisches Gesundheitspersonal rekrutieren. Zu diesen Ländern gehören unter anderem die USA und Kanada, Grossbritannien und Irland.

Doch gerade Irland sollte uns als Beispiel zu denken geben. Irland war bis in die 70er Jahre ein klassisches Auswanderungsland. Durch den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft setzte ein wirtschaftliches Wachstum ein – aus dem Auswanderungsland wurde ein Einwanderungsland. Der Bedarf an Pflegefachkräften wurde ab Ende der 90er Jahre aus den Philippinen gedeckt. 2002 war Irland nach Grossbritannien und Saudiarabien der drittgrösste „Importeur“ von philippinischem Pflegepersonal. 2006 arbeiteten fast 4'000 von ihnen in Irland. (Filipinos in Ireland, wikipedia).

Mit der Finanzkrise 2008, von der Irland besonders stark betroffen war, wendete sich das Blatt. Massive Einsparungen im Gesundheitswesen führten dazu, dass ein Grossteil der Filipinas nun das Land in Richtung den USA oder Kanada verliessen. Eine Untersuchung ging dem auf die Spur und kam zum Schluss, dass dahinter nicht nur die Sparmassnahmen standen sondern auch Diskriminierung und eine mangelnde rechtliche Absicherung. (Irish dream for pinoy nurses starts to pale, May 7, 2010).

Die Situation in Irland hat sich noch zusätzlich verschärft. 2011 warnte der Verband der Irischen Pflegefachleute (Irish Nurses and Midwives Organisation) vor einem verstärkten Mangel und sprach nun von einer eigentlichen „Nursing Crisis“: 2011 würden 1'000 PflegerInnen pensioniert und rund 1'500 neu ausgebildete PflegerInnen hätten vor, das Land zu verlassen, weitere 350 nicht-irische Pflegerinnen planten ausserdem das Land zu verlassen. (World of Nurses, WIN, September 2011, vol 19, Issue 7, p. 44).

Natürlich ist die Schweiz nicht in einer ökonomisch so schwierigen Lage wie Irland. Die Schweiz hat zudem als Einwanderungsland durchaus mehr Erfahrung als das traditionelle Auswanderungsland Irland. Doch ein Abkommen mit den Philippinen darf auf keinen Fall auf eine umsichtige Gesundheitspolitik verzichten, die auf die gute Ausbildung von eigenem Personal setzt und Investitionen in die Arbeitsqualität hier vorsieht. Nur so kann verhindert werden, dass sich die Schweiz in eine derart schwierige Situation wie Irland manövriert.

Aus entwicklungspolitischer Sicht bleibt die Rekrutierung in den Philippinen höchst fragwürdig und eine ziemlich sensible Angelegenheit. Sie ist nur im Rahmen eine umfassenden Abkommens möglich, welches die Armutsreduktion auf den Philippinen selbst berücksichtigt und Projekte einbezieht, welche die Gesundheitsversorgung auf den Philippinen selbst stärken.

*Martin Leschhorn Strebel koordiniert die Aktivitäten des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz rund um den Gesundheitspersonalmangel. Kontakt: mleschhorn@medicusmundi.ch

Quellen