Von Christine Rutschmann
In Bulgarien arbeiten heute deutlich weniger als die Hälfte Pflegefachleute wie noch vor zwanzig Jahren. Die Auswanderung von Gesundheitspersonal hat dramatische Züge angenommen und schwächt die Gesundheits- und Alterversorgung wesentlich.
(Foto: Schweizerisches Rotes Kreuz/SRK)
Täglich verlassen zwei bulgarische Ärzte und drei bulgarische Krankenschwestern ihr Land Richtung Deutschland, England, Frankreich, Dänemark, Schweden oder Schweiz verlassen. So wie dies vor ihnen auch schon Mihaela und Tanja gemacht haben:
Dies sind nur zwei Beispiele von vielen aus dem Spitex-Alltag des Bulgarischen Roten Kreuzes. Dieses schult im Rahmen eines Projekts Krankenschwestern und Pflegehilfen für den Spitex-Bereich. Viele von ihnen entscheiden sich irgendwann zur Migration in den Westen.
Im Jahr 2011 wurden in Bulgarien rund 600 Ärzte ausgebildet. Parallel dazu verlassen pro Jahr mehr als 600 Ärzte und 1000 Krankenschwestern das Land. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen, dass die Tendenz steigend ist. Bulgarien wird zum “Spender” von medizinischem Personal für Westeuropa.
Aktuell arbeiten in Bulgarien rund 26’000 Krankenschwestern, im Jahr 1992 waren es noch 65’000. Gemäss bulgarischem Krankenpflegeverband kommen in Bulgarien 425 Krankenschwestern auf 100’000 Einwohner. In Westeuropa sind es 750 pro 100‘000 Einwohnern. In Westeuropa arbeiten 2 Krankenschwestern mit einem Arzt, in Bulgarien ist es weniger als eine Krankenschwester pro Arzt.
Hauptgründe für dieses Migrationsphänomen sind die ungenügende Finanzierung des Gesundheitssektors und die tiefen Saläre von Ärzten (EURO 300-500/Monat) und der Pflegenden (EURO 200-400/Monat). Weitere ins Gewicht fallen das schwierige Arbeitsumfeld in Krankenhäuser mit veralteter Bausubstanz und Ausrüstung sowie die fehlenden Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung.
Die Migration hat gravierende Folgen für die bulgarische Gesundheitsversorgung:
In einigen Regionen Bulgariens gibt es in den Krankenhäusern keine Spezialisten mehr, aber auch die Allgemeinärzte fehlen in vielen Gemeinden.
Die konkrete Erfahrung in den Spitex-Projekten zeigt, dass in einigen bulgarischen Regionen keine Krankenschwestern mehr zu finden sind. Für diesen Bereich müssen neue Wege gesucht werden, um den Bedarf minimal decken zu können. So werden z.B. Arbeitslose zu Pflegehilfen geschult. Es handelt sich v.a. um Frauen über dem mittleren Alter, die voraussichtlich nicht mehr migrieren werden. Die Probleme der medizinischen Versorgung und der Pflege sind damit jedoch nicht gelöst. Auch hat diese Notlösung einen zusätzlichen Aufwand an Organisation und Kosten zur Folge, wenn Bedürftige einen Arzt benötigen oder professionelle pflegerische Versorgung.
In unterversorgten Regionen und Dörfern Bulgariens erhält die Förderung der „Hilfe zur Selbsthilfe“ mittels Aufbau von Gemeindegruppen eine neue und wichtige Bedeutung. Ältere Menschen schliessen sich zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Einige dieser Gruppen tragen ihre Forderungen weiter zu den zuständigen Behörden. Gefördert und unterstützt werden sie dabei vom Bulgarischen Roten Kreuz.
Dies ist ein Weg zur Milderung des Personalmangels. Ein weiterer, grundlegenderer ist jener der Gesundheitsreformen sowohl im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegenden, aber auch der Restrukturierung im Krankenhausbereich mit einer Verbesserung der baulichen und technischen Infrastruktur. Zusätzlich wichtig ist die Schaffung von Anreizen, wie Förderung der Mobilität in ruralen Gebieten für Ärzte und Pflegende. Und nicht zuletzt ein adäquates Salär- und Bonussysteme.
*Christine Rutschmann ist Programmkoordinatorin des Schweizerischen Roten Kreuzes.