Informationstechnischer Support für Advanced Practice Nurses

Die primäre Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum

Von Sandra Schönfeld und Felix Kentischer

In Entwicklungs- und Schwellenländern herrscht vor allem im ländlichen Raum ein Defizit in der primären Gesundheitsversorgung. Vor Ort sind es oft Pflegende, die unter schwierigen Bedingungen versuchen, eine Basisversorgung aufrecht zu erhalten. Entscheidungen über Therapien und Behandlungen müssen sie oft allein treffen, ohne Zugriff auf patientenrelevante Daten zu haben oder der Möglichkeit eines Austausches mit anderen Fachkräften. Ein webbasiertes IT-Tool könnte die verantwortlichen Pflegenden in ihrem Entscheidungsprozess unterstützen und somit zu einer besseren Gesundheitsversorgung der ländlichen Bevölkerung beitragen, wie ein Pilotprojekt aus Ruanda zeigt.

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Die primäre Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum

UNHCR driewieler, Rwanda (Fred Inklaar/flickr)

 

Die Sicherstellung der gesundheitlichen Grundversorgung der Bevölkerung von ländlichen, abgeschiedenen Gebieten ist für alle Staaten weltweit eine grosse Herausforderung. Dies betrifft sowohl kleine Staaten wie die Schweiz mit ihren engen, schlecht zugänglichen Alpentälern als auch grosse Länder wie die USA mit weitläufigen, dünnbesiedelten Grundflächen. Eine höhere Arbeitsdichte und die Isolation der Dienstleister, schlechterer Zugang zu Spezialisten und/oder Akuteinrichtungen sowie die grossen Distanzen sind nur einige der Herausforderungen, die die Gesundheitsversorgung in solchen Gebieten mit sich bringt (Krause 2005). Dies betrifft zum einen reiche Industrienationen, trotz der enormen Summen die sie für das Gesundheitssystem bereitstellen. Dies gilt aber umso mehr für Entwicklungsländer, besonders in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, die ohnehin unter politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Instabilität leiden.

Erschwerend kommt hinzu, dass Entwicklungsländer im Vergleich zu Industrie- und Schwellenländern überproportional von Krankheiten belastet sind (WHO 2004). Hinsichtlich dieses Sachverhaltes zeigt sich v.a. in der medizinischen Grundversorgung der Unterschied zwischen Entwicklungsländern der so genannten „Dritten Welt“ und den Industrienationen. Innerhalb der Entwicklungsländer sind zudem gravierende Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung der Stadtbewohner und der grösstenteils ländlichen Bevölkerung auszumachen (Gentilini 1993; Krause 2005). Die gesundheitliche Grundversorgung wird vielerorts nur durch staatlich subventionierte Strukturen oder internationale Entwicklungshilfeprojekte aufrechterhalten. Die politische Instabilität und mangelnde finanzielle Ressourcen sorgen jedoch immer wieder für Versorgungsengpässe die nur bedingt kompensiert werden können.

In den meisten  Entwicklungsländern basiert die primäre Gesundheitsversorgung auf dem Konzept der primären Gesundheitspflege (Primary Health Care = PHC), einer gesundheitspolitischen Leitlinie die bereits 1978 von der World Health Organisation (WHO) und der United Nations International Children’s Emergency Fund (UNICEF) in der Deklaration von Alma Ata veröffentlicht wurde (WHO 1978).

Zwar ist dieses Konzept nicht auf die ländlichen, dünnbesiedelten Gebiete beschränkt, hat jedoch hinsichtlich des Grössenanteils der ländlichen Bevölkerung, vor allem in den afrikanischen Entwicklungsländern,  eine entsprechend Bedeutung. Geleistet wird diese primäre Gesundheitspflege meist durch staatliche Gesundheitszentren die auf die Dörfer verteilt sind. Sie sind für ein grosses, weitläufiges Einzugsgebiet oft der einzige Anbieter von modernen, naturwissenschaftlich orientierten medizinischen Dienstleistungen. Das Personal beschränkt sich oft auf eine Pflegekraft die durch einige Helfer und eine Hebamme unterstützt wird.

Sogenannte Advanced Practice Nurses (APN) sind registrierte Pflegefachpersonen, welche sich durch akademische Ausbildung Expertenwissen, Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung bei hoch komplexen Sachverhalten und klinischen Kompetenzen für eine erweiterte pflegerische Praxis angeeignet haben. APN sind fähig, in unterschiedlichsten Settings vertiefte und erweiterte Rollen zu übernehmen und diese in eigener Verantwortung im interprofessionellen Team auszufüllen. Die Kernkompetenzen einer Pflegeexpertin APN sind: direkte klinische Praxis, Experten-Coaching, Beratung, ethische Entscheidungsfindung, interdisziplinäre Zusammenarbeit, klinisches und fachspezifisches Leadership und Forschungskompetenz (Swiss ANP 2014).

Das Aufgabengebiet der APN variiert je nach Land und dessen Gesundheitspolitik von Pflegeexperten auf einer Abteilung im Spital bis hin zu eigenständiger Tätigkeit in einer ländlichen Gegend mit eigenständigen Kompetenzen, wie das Verschreiben von Medikamenten oder Therapien (Feistritzer & Jones 2014). Die Ausstattung dieser dörflichen Gesundheitszentren und die zu Verfügung stehenden Materialien von Verbandmaterial über Medikamente und Impfstoffe bis hin zu Instrumenten und Desinfektionsmitteln beschränken sich oft auf ein Minimum und entsprechen bei weitem nicht den westlichen Standards. Eine fachliche Supervision durch einen Arzt ist oft nicht gewährleistet, weshalb die gesundheitliche Primärversorgung oft durch Pflegende geleistet werden muss. Dies stellt die Pflegenden vor grosse Herausforderungen. So finden sie sich oft in Situationen wieder, in denen sie eigenständig Entscheidungen über Therapie und Behandlung treffen müssen. Neben den beschränkten Möglichkeiten aufgrund der rudimentären Einrichtung und der begrenzt zu Verfügung stehenden Materialien kommt erschwerend hinzu, dass sie oft keinen oder nur beschränkten Zugang zu gesundheitsrelevanten Patientendaten haben.

Advanced Practice Nurses (APNs)
Advanced Practice Nurses (APNs) sind Pflegeexpertinnen auf Masterniveau, die sich auf die Pflege spezifischer Patientengruppen spezialisiert haben. Im Rahmen eines Studiums erwerben sie Kompetenzen in: Forschungsmethodik und Forschungsanwendung, vertiefte klinische Fähigkeiten und know-how in teamorientierter Führung und Zusammenarbeit. APNs nehmen eine proaktive Rolle im interdisziplinären Team ein und sind effektive Partner im klinischen Behandlungsprozess. Durch ihre Tätigkeit können Behandlungsergebnisse positiv beeinflusst werden (Spirig et al 2004).

Einsatzgebiete der APNs sind Spitäler, spitalexterne Pflege und Langzeiteinrichtungen.

Hinsichtlich der begrenzten Ressourcen und der mangelnden Infrastruktur erscheint es umso wichtiger, der Effizienz dieser primären Gesundheitsversorgung die höchste Priorität beizumessen. Personell scheint dies auch durch Pflegekräfte gewährleistet zu sein, zeigen doch Studien im internationalen Kontext, das Pflegenden mit erweiterter Expertise im Sinne einer APN gute, qualitativ hochwertige Gesundheitsarbeit leisten können. Um mit den limitiert vorhandenen Möglichkeiten eine bestmöglichste Versorgungsqualität zu erreichen, benötigen die Gesundheitsdienstleister Zugriff auf alle verfügbaren gesundheitsbezogenen Patienteninformationen (Feistritzer & Jones, 2014). Umso mehr, wenn sie aufgrund der dargelegten Gründen nicht die Möglichkeit haben sich auf disziplinärer und interdisziplinärer Ebene auszutauschen. Neue Informationstechniken bieten hier neue Möglichkeiten und Ansätze um die primäre Gesundheitsversorgung im ländlichen Gebieten massgeblich zu verbessern wie ein Pilotprojekt aus Ruanda zeigt, das am diesjährigen Geneva Health Forum vorgestellt wurde.

Pilotprojekt Ruanda

In Ruanda hat sich aufgrund bewaffneter Konflikte zwischen den Volksgruppen der Hutu und der Tutsi vor 20 Jahren und der daraus resultierenden Zerstörung der Wirtschaft und des Gesundheitswesen, eine komplett neue Entwicklung des Gesundheitswesens mit der Ausrichtung auf soziale Kohärenz und Personenzentrierung herauskristallisiert (Spirig et 2004). Die Mitarbeiter des Gesundheitswesens arbeiten hauptsächlich unabhängig voneinander, was dazu führt, dass die gesundheitsbezogenen Informationen nur sehr fragmentiert verfügbar sind. Die Daten werden dezentral und in verschiedenen Formaten gespeichert, was es unmöglich zu machen scheint, dass das Gesundheitspersonal verschiedener Regionen und Kliniken dieses Wissen miteinander teilen und die Gesundheitssituation der Patienten als Ganzes zu erfassen. Eine weitere Herausforderung sind die Patienten selbst. Sie präsentieren sich nicht einheitlich in Bezug auf ihre demographischen Daten, was eine eindeutige Zuordnung der Akten zu den Patienten schwierig macht. Um dem entgegenzuwirken, wurde das Open Health Information Exchange (OpenHIE) entwickelt. Es wird in verschiedensten Einrichtungen des Gesundheitswesens angeboten: von primären Gesundheitskliniken über Referenzkrankenhäuser bis hin zu kommunalen Zusammenkünften in den Dörfern und Nachbarschaften, die der Verbesserung der Gesundheit dienen. Dementsprechend werden die gesammelten Informationen und Daten auf unterschiedlichen Wegen aufgenommen und gespeichert (OpenHIE 2014).

Red Road, Rwanda (Adam Cohn/flickr)

Das Rwanda Health Information Exchange (RHIE) Programm knüpft an diese lokalen Gegebenheiten an. RHIE ist ein cloud-basiertes Arbeitsinstrument, das mobile und traditionelle eHealth Komponenten vereint, um die Qualität und Kontinuität der Versorgung überregional und zwischen verschiedenen Anbietern des Gesundheitswesens sicherzustellen. Es ist weltweit eines der ersten Programme zur Entwicklung eines integrativen, nationalen Gesundheitsinformationssystems in einem Setting mit geringen Ressourcen. Inzwischen arbeitet die Partnerschaft mit Staats- und Regierungschefs aus 6 Ländern zusammen und bietet sowohl technische Unterstützung mit dem Programm, als auch Einblick in den Prozess ein solches Projekt zu leiten und zu managen. Stakeholder des RHIE sind das Ministerium für Führungspersonen im Gesundheitssystem, Praktiker, Projektmanager, Strategen, Technologie-Architekturen, Entwickler, Geldgeber und andere institutionelle Partner.

OpenHIE vereint verschiedene Komponenten zur Sicherstellung der Informationsweitergabe. Ein spezifischer Patienten Index verwaltet  patienten-spezifische Daten wie die Identität der Bürger und deren gesundheitsbezogenen Dienstleistungen. Eine weitere Maske dient der Identifikation der Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Die sogenannte Gesundheitseinrichtungsmaske dient der Identifikation der Standorte von Gesundheitsdienstleistern.  Des Weiteren wurde eine einheitliche Terminologie eingeführt. Die gemeinsam genutzte Patientenakte beinhaltet die patientenspezifischen Gesundheitsinformationen, sowie Informationen über deren Austausch. Um Zugriff auf die Patientenakten zu bekommen und diese zu aktualisieren wird eine weitere Maske verwendet. Um all diese Daten verarbeiten zu können, wurde eine Maske mit Infrastruktur-Elementen entwickelt. (OpenHIE 2014)

Gegenwärtig ermöglicht RHIE den Zugriff auf aktuelle Informationen über die medizinischen Aufzeichnungen verschiedener Kliniken von schwangeren Frauen. Mitarbeiter im Rwanda District haben jetzt unmittelbaren Zugriff auf Gesundheitsinformationen aus anderen Kliniken und Spitälern sowie auf Daten, die in der Gemeinde erhoben wurden. Es können so fundierte Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Dienstleistungen erbracht werden müssen (OpenHIE 2014). Ein solches Programm unterstützt alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Da die Grundversorgung in ländlichen Gegenden vor allem durch Pflegende gewährleistet wird, profitiert vor allem diese Berufsgruppe von diesem IT-Tool. Diese Verbindung zwischen einem IT-Tool und dem Einsatz von APNs bietet eine grosse Chance für die nachhaltige Verbesserung der Gesundheitsversorgung aller Bevölkerungsgruppen.

Diskussion

Grundsätzlich bietet der Einsatz von IT-Tools vielfältige Möglichkeiten zur Verbesserung der medizinischen Grundversorgung in der heutigen Zeit. Dies gilt insbesondere für Länder mit schwacher politischer und wirtschaftlicher Infrastruktur und einem hohen ländlichen Bevölkerungsanteil.

Kritisch zu hinterfragen sind sicher der Datenschutz und die Finanzierung, die die Einführung eines solchen Tools mit sich bringt. Ein weiterer Punkt ist die unsichere Patientenidentifikation, da vor allem in ländlichen Gegenden Afrikas das Geburtsdatum und die korrekte Schreibweise des Namens oft unbekannt sind oder variieren. Dies hat zur Folge, dass für einen Patienten mehrere Akten vorhanden sein können und im schlimmsten Fall Patienten verwechselt  oder falsch behandelt werden.

Dennoch erachten wir die Einführung eines solchen unterstützenden IT-Programmes als förderlich und sinnvoll. Den aufgeführten Argumenten gegen eine Einführung steht gegenüber, dass der Datenschutz noch eher gewährleistet ist, als durch die Dokumentation auf Papier, da es je nach Berufsgruppe spezifische, passwortgeschützte Zugriffsrechte gibt. Ein IT-gestütztes Dokumentationssystem bietet zudem die Möglichkeit individuelle Körpermerkmale beispielsweise über Bildmaterial zu hinterlegen, um somit eine eindeutige Identifikation trotz fehlerhaftem Geburtsdatum und unklarer Schreibweise des Namens zu gewährleisten.  Die Anschaffungskosten, die die Einführung eines solchen Programms mit sich bringen, sind zweifelsohne kritisch zu hinterfragen. Dennoch erweist sich eine Investition in ein solches Programm hinsichtlich der Nachhaltigkeit als rentabel.

Der grösste Vorteil eines solchen Programmes ist die Bündelung der Daten und deren Verfügbarkeit auch via Handy oder Tablet bis in die entlegensten, ländlichen Gegenden. Dadurch haben die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen umfassenden Zugriff auf alle relevanten Patientendaten. Dies bietet eine erhebliche Unterstützung im Entscheidungsprozess und trägt so effektiv zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung bei.

Desweiteren leistet die Implementierung eines solchen Programms einen wesentlichen Beitrag dazu, dass die knappen Ressourcen gezielter und fairer verteilt werden können, wenn die Daten den politischen Entscheidungsträgern so zugänglich gemacht werden können.

 

Referenzen

Feistritzer, N. R., & Jones, P. O. (2014). A proof-of-concept implementation of a unit-based advanced practice registered nurse (APRN) role: structural empowerment, role clarity and team effectiveness. The Nursing clinics of North America, 49(1), 1-13. doi: 10.1016/j.cnur.2013.11.009

Gentilini, M. (1993). Aspects sanitaires dans les pays en développement. Paris: Flammarion.

Krause, G. (2005). Wirksamkeit der Basisgesundheitsversorgung in Entwicklungsländern. Habilitation, Universitätsmedizin Berlin, Berlin. Retrieved from http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000001744 

Open Health Information Exchange (OpenHIE) (2014). OpenHIE WIKI  Retrieved June 10th, 2014, 2014, from https://wiki.ohie.org/display/documents/Home

Spirig, R., Nicca, D., Voggensperger, J., Unger, M., Werder, V., & Niepmann, S. (2004). The Advanced Nursing Practice Team as a model for HIV/AIDS caregiving in Switzerland. [Evaluation Studies

Research Support, Non-U.S. Gov't]. J Assoc Nurses AIDS Care, 15(3), 47-55. doi: 10.1177/1055329003261960

Swiss ANP - Interessengruppe SBK für Advanced Nursing Practice. (2014). Definition APN  Retrieved 10. Juni 2014, 2014, from http://swiss-anp.ch/w/pages/de/advanced-nursing-practice.php

World Health Organization (WHO). (2004). Burden of disease: DALYs  Retrieved June 10th, 2014, 2014, from http://www.who.int/healthinfo/global_burden_disease/GBD_report_2004update_part4.pdf

World Health Organization (WHO), & United Nations International Children’s Emergency Fund (UNICEF). (1978). Declaration of Alma-Ata  Retrieved June 10th, 2014, 2014, from http://www.who.int/publications/almaata_declaration_en.pdf

 

Felix Kentischer, Masterstudent am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel,arbeitet als Pflegeexperte ANP am Universitätsklinikum Freiburg. Sandra Schönfeld, Masterstudentin am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel, arbeitet als Pflegefachfrau mit erweiterten Kompetenzen im Schwerpunkt Nephrologie im Universitätsspital Basel