Erste Fachtagung von aidsfocus.ch

Aidsbehandlung für Menschen im Süden vorantreiben

Von Dominique Schärer und Viera Malach

Nahezu alle zu HIV/Aids international tätigen Schweizer Institutionen und Organisationen haben sich vernetzt: Am 20. April 2004 hielten sie in Bern ihre erste Fachtagung ab.

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Die Schweiz gehört neuerdings zu den wenigen europäischen Ländern, welche die Ressourcen im Kampf gegen Aids bündeln. Am 20. April 2004 fand in Bern das erste Symposium von aidsfocus.ch statt, einer Fachplattform zu HIV/Aids und Entwicklungszusammenarbeit, welche die Erfahrungen von rund zwanzig Schweizer Hilfswerken und Organisationen vernetzt und von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA unterstützt wird. “Im Moment wollen wir hauptsächlich voneinander lernen, damit nicht jede Organisation das Rad neu erfinden muss”, sagte Helena Zweifel, welche die Plattform im Auftrag des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz koordiniert. “Politische Forderungen sind, wenn überhaupt, wohl erst in einem zweiten Schritt möglich.”

Thema der ersten Fachtagung bildete die Aidsbehandlung. Erst vor knapp zwei Jahren entstand ein Konsens darüber, dass die Behandlung und der Schutz aidskranker Menschen die viel weniger kostspielige Prävention ergänzen muss. Weltweit sind 40 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert. Von den sechs Millionen Aidskranken in Afrika, die dringendst einer Behandlung bedürfen, erhalten gerade 300 000 die nötigen Medikamente.

An der Tagung wurden ermutigende Erfahrungen aus Afrika aufgezeigt. So konnte Médecins Sans Frontières MSF in Kamerun durch Unterstützung privater Geldgeber und dank Generika die Behandlungskosten von 10 000 Franken pro Jahr und Person auf 400 Franken senken. “Wir haben bewiesen, dass die Behandlung von Aidskranken auch in den Ländern des Südens möglich ist”, sagte Alexandra Calmy von MSF. Ihre Organisation behandelt mit vereinfachten therapeutischen Methoden gegenwärtig 11 000 Menschen in 19 Ländern und will diese Zahl bis nächstes Jahr auf 25 000 erhöhen. Das Schweizerische Rote Kreuz betreut in Swasiland zusammen mit der Regierung und dem lokalen Roten Kreuz Aidskranke zu Hause und setzt auf Prävention vor allem bei Jugendlichen. Zudem lanciert es ein Pilotprojekt zur Therapie von HIV-positiven Schwangeren und von deren aidskranken Angehörigen. Das Schweizerische Tropeninstitut wiederum berät die DEZA zu “besten Praktiken” bei Behandlung und Prävention.

In parallelen Arbeitsgruppen stellten sich die aidsfocus-TeilnehmerInnen denselben Fragen: Welche Faktoren sind für eine erfolgreiche Durchführung von Projekten für Aidskranke erforderlich? Was sind die grössten Herausforderungen? Was können Organisationen konkret tun? - Dass die Debatten in den Workshops fruchtbar verliefen, zeigte symbolisch eine Blume, die durch den Erfahrungsaustausch zu einer ansehnlichen Pflanze gewachsen ist. Die Blume stand für ein umfassendes Paket zur Behandlung von aidskranken Kindern und Erwachsenen (“comprehensive care package”), ihre Blütenblätter zeigten klinisch-medizinische, psychologische, sozio-ökonomische und rechtliche Faktoren. Die Fachleute stellten dabei Defizite auf verschiedenen Ebenen fest, die sie unterschiedlich angehen. Letztlich aber waren sie sich einig, dass für Betroffene die Ganzheit der Bemühungen wichtig ist.

Boden für weitere Schritte gelegt

“Es ist eben ein "Päckli", darin liegt die Herausforderung”, fasste DEZA-Fachfrau Sandra Bernasconi in einem Workshop zusammen. Die in aidsfocus.ch zusammengeschlossenen Institutionen, Organisationen und auch Einzelpersonen verfolgen eigene Handlungsoptionen und bilden sozusagen Bienen, welche die Pflanze umschwärmen: Einige sehen ihre Stärke in der psychosozialen Betreuung, andere verfügen über Fachwissen im medizinischen Bereich und in Gesundheitssystemen oder kennen sich in der politischen Arbeit und im anwaltschaftlichen Lobbying aus. Dritte setzen auf einen multisektoriellen Ansatz, und vierte wiederum arbeiten insbesondere in der Prävention und mit Jugendlichen.

All diese Erfahrungen der “community of practice” zusammenzubringen, sei ein wichtiger Schritt vorwärts, wertete aidsfocus-Koordinatorin Helena Zweifel die erste Fachtagung der jungen Plattform. Wissen teilen, multidisziplinär zusammenarbeiten und daraus weitere Kapazitäten entwickeln, das sei der Boden, auf dem der Kampf gegen Aids Erfolge verspricht.

Privates und kollektives Engagement

Für Jeanne Gapiya Niyonzima, die ein Selbsthilfeprojekt in Burundi initiert hat, ist persönliches Engagement der zentrale Faktor für erfolgreiche Aidsbehandlung. Engagierte Leute wie auch kollektives Engagement seien ebenso wichtig, doppelten Teilnehmende des Workshops mit Jeanne Gapiya Niyonzima nach. Die Dringlichkeit des Problems müsse allen bewusst werden – insbesondere auf Regierungsebene. Dass der politische Wille oft fehle, wurde als Grundproblem auch in anderen Workshops beklagt. Politiker müssten in die Pflicht genommen werden, “Gesundheit ist schliesslich ein Recht und nicht nur eine gnädige Geste”, argumentierte eine Teilnehmerin.

”Wirkliche Zusagen erhalten und Brieftaschen öffnen” wurde mehrmals als Faktor für erfolgreiche Projekte angeführt. Dass vielerorts Geld fehlt, war in allen Workshops Thema: Zu wenig ausgebildetes Personal und schwache Gesundheits- und Sozialsysteme wurden wiederholt als Hindernisse benannt. Zudem wurde beklagt, dass einige Gelder an Bürokratie oder Studien verloren gehen, statt an Betroffene zu gelangen. “Von uns werden Studien sowie Monitoring verlangt”, begründete Alexandra Calmy von MSF in einem Workshop.

Erschwingliche Medikamente

Im Plenum wurde auch die Befürchtung laut, dass weitere Mittel im Kampf gegen Aids nur mit Abstrichen andernorts frei würden. Demgegenüber zeigten sich Stimmen in den Workshops optimistischer: Die Sensibilisierung politischer und wirtschaftlicher Akteure werde sich durchaus positiv auf die Mittelbeschaffung auswirken. “Medikamente werden zusehends erschwinglicher”, führten TeilnehmerInnen im Workshop mit Claudia Kessler vom Schweizerischen Tropeninstitut als weiteren erfolgversprechenden Faktor an. Damit Preise und auch Patente fallen, sei aber weiterhin Druck der auf Lobbying spezialisierten NGO nötig.

In der Praxis schwierig bleibt indes, wo angesichts der knappen Mittel Prioritäten gesetzt werden sollen: Es gebe zwar Leitlinien, doch seien diese nicht überall anwendbar, räumte Kessler ein. “Bedürfnisse gemeinsam mit Betroffenen und ihren Gemeinschaften abklären”, steht für IAMANEH Schweiz fest, und dabei lokales Wissen und Kompetenzen anerkennen. “Ergänzen, was nicht vorhanden ist, und zwar über lokale Partner”, umriss Vreni Wenger die Strategie des Schweizerischen Roten Kreuzes. Schliesslich wurde mehrfach angeregt, Gruppen von “People living with HIV/Aids” zu unterstützen: “Sie können Handlungsachsen aufzeigen und sind beste Promotoren für die Prävention.”

Information und Medien

Als Faktoren für einen erfolgreichen Kampf gegen Aids wurde in allen Debatten Informations- und Medienarbeit angeführt. Neben Wissen über übertragung und Behandlung von Aids müssten Betroffene auch ihre Rechte kennen, forderte Lucia Maria Stirbu aus Rumänien. Dass Information oft an armen Menschen vorbeigeht, stellte auch eine Teilnehmerin aus Simbabwe fest: Ohne Armutsbekämpfung seien deshalb Fortschritte bei Prävention und Behandlung von Aids kaum möglich.
Einige Stimmen wiesen dabei auf die zentrale Rolle von Schule und Bildung und besonders der Lehrerfortbildung hin. Wissen in Verhalten umzusetzen sei indes selbst in Industrieländern nicht einfach – und um so schwieriger in afrikanischen Gesellschaften, die Traditionen und Glauben stärker verbunden sind. Traditionelle Heiler vermehrt in eine umfassende Prävention und Behandlung einbeziehen, lautete denn ein Ansatz. “Empowerment von Frauen” hiess es in der Debatte mit Jamiu Peleowo aus Swasiland. “Hier ist die Gesellschaft sehr männlich beherrscht”, konstatierte er.

“Jeanne hatte kein Geld, war alleine, aber sehr engagiert. Sie fand gute Mediatoren und Partner - und hatte Erfolg. Eine Geschichte, die für die Zukunft optimistisch stimmt”, betonte eine Teilnehmerin.

*Autorinnen: Dominique Schärer und Viera Malach. Mit dem Ziel, andere und vertiefte Informationen über Nord-Süd-Beziehungen zu liefern, ist die Presseagentur InfoSud 1988 in Lausanne in französischer Sprache gestartet. Das InfoSüd-Büro in Bern besteht seit dem Frühjahr 1997. Kontakt:redaktion@infosued.ch

Tagungsdokumentation der aidsfocus.ch-Konferenz