Beurteilungen und Schuldzuweisungen zu Aids in Mali

“Trop lourd pour une seule personne”

Von Noemi Steuer

Einblicke in die Erfahrungen mit Kranksein im Rahmen eines Projektes zur Prävention von HIV/Aids und zum Zugang zur Aidsbehandlung in Mali.

Lesezeit 7 min.

« Dieu merci! Je suis maintenant mariée et je vis avec mon mari chez sa famille. Je m’entends bien avec tout le monde, ils sont au courant de ma situation. Et avec les ARV je peux dire que je suis tranquille. J’ai des médicaments que je prends, je mange bien, je dors bien aussi. Je n’ai pas de problèmes psychiques. »

Bintou ist 23 Jahre alt und lebt in Bamako, der Hauptstadt von Mali. Hier erhält sie seit drei Jahren eine antiretrovirale Therapie. Als ich mit ihr spreche, strahlt sie vor Glück. Ausser gelegentlichen finanziellen Engpässen hat sie keine grösseren Probleme, sagt sie. Bintou ist frisch verheiratet. Ihren Mann hat sie bei AMAS/AFAS, der Selbsthilfeorganisation von HIV-positiven Menschen, kennen gelernt.

Es ist Bintous zweite Ehe. Ihr erster Mann starb vor drei Jahren an Aids. Einen Test hat er nie gemacht. Zwar wusste er über seine Krankheit Bescheid, wollte das aber nicht wahrhaben und verweigerte jede Auseinandersetzung mit diesem Thema. Zwei Wochen vor seinem Tod hat Bintou selbst einen Test machen lassen. Als sie das Resultat erfuhr, war sie am Boden zerstört - all ihre Hoffnungen, ihre Zukunftsvorstellungen hatten sich zerschlagen.

Heute plant Bintou den beruflichen Aufstieg. Sie hat eine Schneiderlehre gemacht, doch nun ist ihr Ziel, die Buchhaltungsprüfung zu bestehen. Zweimal hat sie es schon versucht, jetzt beim dritten Mal will sie sich besser vorbereiten und vorher die entsprechenden Kurse besuchen. Dafür braucht sie Geld, die sie sich mit Handelsreisen nach Cotonou, Benin, beschaffen möchte. Kleider und Schuhe will sie dort kaufen, um diese dann gewinnbringend in Bamako wieder zu verkaufen. Doch nicht nur im beruflichen Bereich schmiedet sie Pläne:

« Je veux bien avoir des enfants. J’en ai parlé avec mon mari et aussi avec le docteur. Comme je suis actuellement sous un traitement qui ne favorise pas la procréation, nous attendons la fin de ce traitement pour envisager les possibilités de faire un enfant, un enfant bien portant et sain. J’ai tout expliqué au docteur qui a dit qu’il n’y a pas de problème et dès que nous serions prêts, qu’il nous aidera à trouver la solution. »

In Mali erhalten ungefähr 500 Personen über ein staatliches Programm antiretrovirale Therapien. Die wichtigste Anlaufstelle für die PatientInnen dieses Programms, sowie für alle Belange hinsichtlich Aids, ist CESAC (Centre de soins, d’animation et de conseil) in Bamako, das mitten in der Stadt zwischen Post und Bahnhof liegt. Hier kann man sich testen und beraten lassen, es gibt vier ärzte, eine Apotheke, ein Laboratorium, einen Sozialdienst und - nicht zu vergessen - eine unermüdliche Sekretärin, die versucht, die früh morgens eintreffenden 60 bis 80 Patienten und Patientinnen zu beruhigen und sie an die entsprechenden Stellen zu verweisen. Viele Patienten haben schon eine längere Reise hinter sich. Sie kommen aus weit entfernten Gegenden des Landes, denn die lebensverlängernde Therapie ist nur in der Hauptstadt erhältlich. Da sie jeden Monat ihr Rezept erneuern müssen, bedeutet dies nicht nur einen enormen Aufwand an Zeit, sondern auch an Kosten - und dies in einer Situation, wo die finanziellen Ressourcen meist schon durch den bisherigen medizinischen Parcours aufgebraucht sind. Eine Dezentralisierung des Programms ist zwar geplant, doch noch nicht umgesetzt.

Seit 1998 unterstützt IAMANEH Schweiz in Mopti, der Stadt mit der landesweit zweithöchsten Prävalenzrate in Mali, ein HIV/Aidsprojekt, das sich an Jugendliche wendet. Bis anhin konzentrierte sich die lokale Partnerorganisation ASLAD (Association Ladiya) auf Präventionsaktionen und Informationen für Jugendliche zu HIV/Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Die Mobilisation der Jugendlichen für das Programm gelang vor allem über die Jugendlichen selbst, die Informationen an ihre Altergenossen weitergeben; wichtig sind auch die Gesprächsrunden zu Themen, die Körper und Sexualität betreffen, sowie Theateraufführungen, Musikveranstaltungen und Radiosendungen, die die Problematik von HIV/Aids aufgreifen.

Ausgehend von dem Gedanken, dass eine umfassende Prise en charge die Effizienz der Prävention wesentlich zu verbessern mag, hat IAMANEH nun beschlossen, das Projekt zu erweitern und den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten für Jugendliche im Programm zu ermöglichen. In Mopti existiert bereits eine Filiale von CESAC, die von einem Arzt geführt wird und alle Angebote von Beratung über Test und Behandlung der opportunistischen Krankheiten zur Verfügung stellt, ausser der Vergabe von ARV. Mit dieser Struktur will ASLAD nun die Kooperation intensivieren und für eine Dezentralisierung der Behandlungsmöglichkeit einstehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die Zusammenarbeit zwischen ASLAD und CESAC gestalten soll und wo es bezüglich therapiebegleitender Aktivitäten Lücken gibt, die ASLAD füllen kann. Die Bedürfnisse der Betroffenen und deren Familien sollen nun im Rahmen einer medizinethnologischen Studie, die in die Erfahrungen und Problemfelder der jungen Menschen Einblick gewähren soll, besser erfasst werden. Daraus werden die konkreten Aktivitäten zugunsten der Jugendlichen und deren Familien entwickelt.

Aids ist in Mali mit rigiden moralischen Urteilen und Schuldzuweisungen belegt. Die Krankheit ist eine “maladie honteuse”, und betroffene Personen leiden unter Stigmatisierung oder häufiger noch unter der Angst vor Stigmatisierung. Bintou befindet sich in dem für ihre Situation privilegierten Status des unschuldigen Opfers. Die moralische Seite der Krankheit, die Beschuldigungen und Verurteilungen treffen sie nicht:

« Personne ne m’a fait de reproches, parce qu’ils savent tous que ma maladie est due à mon mari. Mon mariage a été fait dans un cadre parental et je ne voulais pas de ce mariage au départ. Si je suis victime d’une maladie dans ce mariage, ils ne peuvent plus me faire de reproches, mais ce sont eux qui doivent avoir honte. »

Sie hat nur das getan, was ihr von der Familie vorgeschrieben wurde. Aus diesem Grund hat sie persönlich auch nie Erfahrungen mit Stigmatisierung, mit Ausgrenzung machen müssen. Ganz im Gegenteil, ihre Familie und auch die Familie ihres Ex-Mannes unternehmen alles, um die Last der Krankheit zu mindern, obwohl es keine wohlhabenden Leute sind. Bei den geringsten gesundheitlichen Beschwerden wird Bintou von ihnen zum Arzt begleitet. Ihr Ex-Schwager bezahlte bis vor kurzem sämtliche Rechnungen und Rezepte, und von allen Seiten erhält sie moralische Unterstützung. Mit diesem Rückhalt und der ARV-Therapie hat die Krankheit ein ganz anderes Gesicht, als dies sonst von PatientInnen berichtet wird. Bintou muss sich nicht schämen, sie kann mit ihrem Status offensiv umgehen.

Auch Aminata (25) ist HIV-positiv. Wie Bintou hat auch sie sich beruflich für Buchhaltung entschieden, nur dass sie ihre Prüfungen bereits bestanden hat. Doch ansonsten befinden sich die beiden Frauen in Situationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Als ich Aminata das erste Mal bei CESAC treffe, möchte sie schnellstmöglich mit der ARV-Therapie beginnen und ist gerade dabei, die Vorabklärungen zu tätigen. Es geht ihr schlecht, sie liegt auf einer Matte auf dem Boden und wartet auf die Konsultation. Sie ist allein, denn sie hat niemanden, der sie zum Centre begleiten würde, dem sie sich anvertrauen könnte:

« Je n'ai personne à qui je peux parler. Parce que j'étais une honte dans ma famille. Mon père même avait honte de moi. C'est vrai, il ne savait pas mon résultat, mais il a dit que j'étais malade d'une façon que tout le monde disait ça. Et lui aussi, il a pensé c'est le sida. Il avait même honte que je sois sa fille. Donc vraiment jusqu'à présent je n'ai personne à qui je peux me confier sur ce problème-là. Sinon on va me mettre à côté et moi je ne me suffis pas à moi seule. Si on me met à côté ça sera très difficile pour moi, du côté nourriture, l'habitation - tout ça. Donc je suis obligée de me cacher. »

Wenn ihre Mutter noch leben würde, könnte sie auf Verständnis und Unterstützung hoffen. Doch in ihrer jetzigen Situation scheint einzig eine Heirat einen Ausweg aus ihrer Hoffnungslosigkeit zu bedeuten:

«C'est le mariage seul qui peut me sauver. D'abord pour m'habiter, pour pouvoir avoir quelqu'un qui peut me soutenir moralement et physiquement, matériellement - tout ça. Mais ma situation est très difficile. Je ne peux pas me montrer aux gens, sinon je ne vais jamais avoir un mari. »

Während Bintou die 45'000er Medizin (so heisst die ARV-Therapie in Mali, der Name orientiert sich am Preis in FCFA) erhält, sozial akzeptiert ist und sich sogar innerhalb der Selbsthilfeorganisation öffentlich gegen die Diskreditierung von HIV positiven Menschen einsetzt, muss Aminata sich verstecken und ist in ihrer Not ganz auf sich allein gestellt. Es sind nicht nur die virale Last oder der CD4 Gehalt, die die Wahrnehmung der Krankheit so unterschiedlich prägen. Es sind die Beurteilungen und Schuldzuweisungen, die über das Befinden und den Status von Aidskranken in Mali entscheiden. Für Aminata ist dieser Aspekt der Krankheit nicht zu begreifen und lässt sie oft verzweifeln; in ihrem Denken spielt die Frage nach eigener Schuld oder schicksalhafter Fügung eine zentrale Rolle:

« Franchement, je ne pense qu'à la mort ... parfois je me demande aussi si ce n'est pas une sorte de malédiction, mais je pose souvent la question qu'est-ce que j'ai fait à Dieu pour me maudire de cette façon? Après je me dis ce n'est pas ça, c'est le destin. »

*IAMANEH Schweiz hat Noemi Steuer mit der Durchführung einer medizinethnologischen Studie zu Erfahrungen und Problemfeldern junger Menschen im Zusammenhang mit HIV/Aids in Mali beauftragt. In diesem Rahmen hat sie ein Praktikum am CESAC absolviert sowie in der Apotheke des Zentrums gearbeitet. Der Text gibt einen ersten kurzen Einblick in die langfristig angelegte Studie zum Umgang und zu den Erfahrungen von jungen Menschen mit der HIV-Infektion und Aids. Noemi Steuer beschäftigt sich schon seit längerem mit der Aidsproblematik im Süden. In ihre Lizentiatsarbeit hat sie sich mit dem Aidsdiskurs in Mali auseinandergesetzt. Kontakt: nsteuer@datacomm.ch. Die Zitate sind aus dem Bamanakan übersetzt durch Alou Dembele.