Ein Spiegelbild des Nord-Süd-Grabens in Gesundheitsversorgung und Forschung

HIV/Aids - eine Seuche der Dritten Welt

Von Thomas Schwarz

"Aids - a global response" - so lautete der programmatische Titel der 11. Welt-Aids-Konferenz im Jahr 1996 in Kanada, und "One World, One Hope" war das Motto des Welt-Aids-Tages des letzten Jahres. Den Optimismus der federführenden Organisationen WHO und UNAIDS in Ehren, aber im Umgang mit HIV/Aids ist von einer globalen Strategie auch heute noch wenig zu spüren.

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In den Ländern des Nordens scheint in den letzten zwei Jahren ein Durchbruch in der Behandlung der HIV-Infektion möglich zu werden: Durch die Anwendung einer Kombination dreier Medikamente, die das Virus auf verschiedene Arten angreifen und schädigen (sogenannte antiretrovirale Medikamente, meist als Kombination von Retrotranskiptasehemmern und Proteasehemmern eingesetzt), kann heute die Virusmenge im Blut drastisch reduziert und die Krankheit weitgehend zum Stillstand gebracht werden. Auch im Kampf gegen die HIV/Aids-Übertragung von der Mutter auf das Kind wurden durch die neuen Medikamente bedeutende Fortschritte erzielt.

Zwar stellen sich auch bei uns im Umgang mit der kostspieligen und für die HIV/Aids-Erkrankten aufwendige Kombinationstherapie Fragen der Ethik und der Menschenrechte der Patient/innen(1). Doch immerhin scheint die seit bald fünfzehn Jahre dauernde medizinische Ohnmacht gegenüber HIV/Aids gebrochen. Und bereits gibt es weitergehende Hoffnungen: Spektakulär präsentierte Selbstversuche von US-amerikanischen Forschern lassen den Schluss zu, dass auch in der Entwicklung eines HIV/Aids-Impfstoffes grosse Fortschritte erzielt worden sind. In einen wirkungsvollen Impfstoff setzen denn auch WHO und UNAIDS ihre grössten Hoffnungen bei der weltweiten Bekämpfung der HIV-Epidemie. Doch noch ist es längst nicht soweit; und die Realitäten am Ende des Jahres 1997 lassen das Schlagwort von der "global response", der "weltweiten Antwort" auf HIV/Aids hohl erscheinen:

HIV/Aids wird immer mehr zur Seuche der Dritten Welt: Über 90% der an HIV/Aids erkrankten Menschen leben in Ländern des Südens, allein 63% oder 14 Millionen Menschen im Afrika südlich der Sahara, wo bereits 5.6% der Gesamtbevölkerung mit dem HI-Virus infiziert ist. Täglich kommt es weltweit zu über 8'000 neuen HIV-Infektionen, davon 1'000 bei Kindern(2).

Die bekannten HIV/Aids-Medikamente sind extrem teuer; in der Schweiz kostet die Kombinationstherapie ca. 1'500 Fr. pro Patient/in und Monat. Ausserdem ist der Erfolg einer Behandlung von intensiver medizinischer Beratung und Betreuung sowie von der gleichbleibenden Qualität und Verfügbarkeit der Medikamente abhängig.

In den Ländern der Dritten Welt stehen heute zwischen 3 und 20 Fr. pro Einwohner/in und Jahr für sämtliche laufenden Gesundheitskosten zur Verfügung. Aufgrund von Strukturanpassungsprogrammen müssen Gesundheitszentren geschlossen und medizinisches Personal entlassen werden. Und wo selbst der Kauf einer Dreierpackung Kondome das Wochenbudget einer Familie überschreitet, besteht keine Hoffnung auf Zugang zu den wirkungsvollen, aber teuren HIV/Aids-Medikamenten. Die Diagnose "HIV positiv" bedeutet für die Infizierten in aller Regel das Todesurteil.

Die Bemühungen von WHO und dem "Joint United Nations Programme on HIV/AIDS" (UNAIDS) konzentrierten sich deshalb in letzter Zeit auf Präventionsprogramme sowie auf die Entwicklung von HIV/Aids-Therapien, die einfacher, billiger und "benutzer/innenfreundlicher" und somit auf die spezifischen Verhältnisse in der Dritten Welt zugeschnitten sind. So erklärte der UNAIDS-Direktor Peter Piot:

"Die jüngsten wissenschaftlichen Erfolge in der Bekämpfung von HIV/Aids sind ermutigend. Doch müssen nun die Prioritäten der weltweiten Forschung auf den Kopf gestellt werden. Tatsache ist, dass das Aids-Problem nun überwiegend auf die Entwicklungsländer konzentriert ist, wo über 90% der HIV-Infizierten leben. Tatsache ist es aber auch, dass die Aids-Forschung überwiegend in der industrialisierten Welt angesiedelt ist.. UNAIDS trägt zusammen mit anderen Geldgebern der Forschung die Verantwortung dafür, dass die weltweite HIV/Aids-Forschung und insbesondere die Forschung in und mit Entwicklungsländern den Bedürfnissen dieser Länder entspricht, und nicht bloss denjenigen der reicheren Länder. Die Forschungsbedürfnisse von 90% der Infizierten nicht zu beachten ist nicht nur unethisch, sondern vollkommen irrational. Wenn die Aids-Forschung hingegen vernünftige Prioritäten setzt, wird sie zur Hoffnung für den ganzen Planeten" (3).

Somit ist auch im Forschungsbereich die ethische Frage gestellt, die sich jedoch nicht nur auf die Forderung beschränkt, dass die Prioritäten der HIV/Aids-Forschung den Bedürfnissen der Entwicklungsländern entsprechen.

Anmerkungen:

(1) "Neue Aids-Medikamente - Neue ethische Probleme" war Thema einer Fachtagung des Dokumentationszentrums für Aids-Information Aids Info Docu Schweiz vom 26. Mai 1997 in Bern. Die Resultate der Tagung liegen nun in gedruckter Form vor: Der Reader "Neue Aids-Medikamente - neue ethische Probleme?" (Dialog AIDS, Band IV, 1997) ist bei Aids Info Doku Schweiz erhältlich.
(2) Zahlen von Ende 1996. Quelle: Fact Sheet von UNAIDS und WHO: "HIV/AIDS: The Global Epidemic".
(3) Peter Piot, AIDS: A Global Response. Editorial im Science Magazin (1996. Übersetzung durch ts.