Von Manuela Ryter
Jahrelang wurde die Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern von Hilfswerken aufgebaut, nun melden sich die Staaten zurück. Welche Auswirkungen dies auf die Arbeit der nichtstaatlichen Organisationen hat, war Thema eines Symposiums von Medicus Mundi Schweiz, dem Netzwerk Gesundheit für alle.
Viele Schweizer Hilfsorganisationen engagieren sich im Gesundheitsbereich der
Entwicklungsländer: Mit dem Aufbau von Spitälern, HIV- und Trinkwasserprojekten
und ambulanten Gesundheitszentren haben sie Versorgungsaufgaben übernommen,
die eigentlich Aufgabe des Staates wären. Mit der Pariser Deklaration zur Umsetzung
der Millenniumsziele hat die Entwicklungszusammenarbeit vor zwei Jahren jedoch
einen Kurswechsel eingeschlagen: Sie setzt künftig vermehrt auf die Stärkung
der staatlichen Institutionen statt auf Projekte.
Die Staaten werden damit zu den neuen Hoffnungsträgern der internationalen Zusammenarbeit
– mit Folgen für die Hilfsorganisationen, die ihre Identität neu überdenken
müssen. Über das Spannungsfeld der Nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) zwischen
eigener Mission und nationaler Gesundheitspolitik wurde am Symposium „Nichtstaatliche
Gesundheitseinrichtungen und nationales Gesundheitssystem“ vom 6. November 2007
in Basel mit knapp 100 Teilnehmenden debattiert.
Die Bedeutung des Gesundheitsbereichs in der Entwicklungszusammenarbeit wächst:
Drei der acht Millenniumsziele betreffen die Gesundheit, die Ausgaben dafür
wurden in vergangenen Jahren von sechs auf 14 Milliarden Dollar erhöht. „Noch
wird das Geld unkoordiniert ausgegeben“, sagte Edita Vokral, stellvertretende
Leiterin des Bereichs bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der DEZA. Viele
Geber hätten jedoch erkannt, dass nicht nur einzelne Krankheiten bekämpft, sondern
dass vermehrt gemeinsam in die Stärkung der Gesundheitssysteme investiert werden
müsse.
Die Pariser Deklaration sei auch für die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit
eine Herausforderung: „Es ist unser Ziel, dass die Zivilgesellschaft bei deren
Umsetzung eingebunden wird.“ Die Einbindung von NGOs sei nötig, denn noch seien
die Managementkapazitäten in den Gesundheitsministerien der Entwicklungsländer
schwach: „Sie können bei der Erarbeitung von Entwicklungsstrategien mitwirken,
aber auch ausführende Funktionen, etwa in Spitälern, übernehmen oder als ‚watchdogs’
die gegenseitige Rechenschaftsauslegung zwischen Gebern und Regierungspartnern
sicherstellen.“
Die neue Ausrichtung erfordert laut Vokral eine verstärkte Zusammenarbeit mit
den staatlichen Institutionen, aber auch mit den anderen Gebern. Das sei nicht
einfach, denn alle Akteure müssten bereit sein nachzugeben. „Es braucht viel
Zeit, bis man sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt hat. Aber das Wichtigste
ist, dass man ein gemeinsames Ziel hat.“
Dass es auf dieses gemeinsame Ziel ankommt, sagte auch Bart Criel vom Institut
für tropische Medizin in Antwerpen – ob die Gesundheitsversorgung privat oder
öffentlich, profit- oder nichtprofitorientiert sei, sei zweitrangig. Der Diskurs
müsse deshalb pragmatischer und weniger ideologisch geführt werden.
Darüber und dass der private und der öffentliche Sektor gemeinsam arbeiten müssen,
war man sich am Symposium einig. Aber wie? „Reine Willensbekundungen reichen
nicht, es müssen auch Taten folgen“, sagte Jean Perrot von der WHO und ging
in seinem Referat auf die verschiedenen Möglichkeiten ein, diese Zusammenarbeit
vertraglich zu regeln.
Dass eine Zusammenarbeit der NGOs mit dem Staat möglich ist, aber je nach Land sehr unterschiedlich ausfällt, wurde anhand von drei Beispielen aus Kamerun, Kambodscha und Mosambik aufgezeigt.
Kamerun – Staat fördert Zusammenarbeit. Kamerun, wo die Gesundheitsversorgung
unter anderem wegen des schlechten Zustands der Strassen und der grossen Distanzen
kaum gewährleistet ist, habe seine Gesundheitsstrategie überarbeitet, sagte
Engelbert Manga, Chefarzt des Distrikts Mfou und Leiter eines medizinischen
Projekts der Kooperation Kamerun-Jura-Schweiz. Die neue Strategie integriere
die Millenniumsziele und setze auf die Stärkung des staatlichen Gesundheitssystems.
Das Gesundheitsministerium werde künftig alle Dienste planen und deren Zielsetzung
definieren. Ausgeführt würden die Dienstleistungen jedoch weiterhin grösstenteils
von den privaten kirchlichen Gesundheitszentren.
Laut Manga sind die NGOs in diesem Prozess wichtige Partner, deren Intervention
im Gesamtrahmen nötig ist. Dass das Angebot des Staates durchaus eine Chance
sein kann, bestätigte auch Ulrike Kohlmeyer, die für mission 21 Chefärztin in
der Südwestprovinz Manyemen war. So trügen nationale Gesundheitsprogramme viel
zur medizinischen Versorgung in den kirchlichen Spitälern bei, weshalb eine
Zusammenarbeit beider weiterhin nötig sei.
Kambodscha – Ansätze des SRK integriert. Auch in Kambodscha sei
die Integration einer NGO ins nationale Gesundheitssystem durchaus möglich,
sagte Lorenz Indermühle vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK). Er setzte sich
damit von „Beatocello“ Beat Richner ab, der in einem Filmbeitrag die WHO und
UNICEF kritisierte, weil das von ihnen unterstützte staatliche Gesundheitssystem
die Ärmsten nicht erreiche. Richner setzt auf private Initiativen.
Indermühle hingegen zeigte auf, wie sich eine NGO erfolgreich ins öffentliche
Gesundheitssystem einbringen kann. So hat das SRK etwa das Provinzspital Takeo
aufgebaut, welches nun an den Staat übergeben werden soll. „Die Ansätze des
SRK wurden bereits ins Gesundheitssystem des Distrikts integriert“, sagte Indermühle.
Dabei seien informelle Zahlungen abgeschafft und die Löhne erhöht worden, um
die Korruption, eines der grössten Probleme im Gesundheitswesen des Landes,
einzudämmen.
Mosambik – DEZA setzt auf Staat. In Mosambik ist die Situation
wiederum anders: Hier hat die DEZA nach dem Krieg 1992 die Sektorbudgethilfe
mitinitiiert, die später vom Gesundheitsministerium übernommen wurde. Die Schweiz
spiele nach wie vor eine wichtige Rolle im politischen Dialog, sagte Andrea
Studer, Programmbeauftragte der DEZA. Die Budgethilfe fördere die Eigenverantwortung
des Staates und stärke dessen Gesundheitsstrukturen – und damit längerfristig
auch die Dienstleistungen. Insgesamt 25 Geber beteiligten sich heute an der
Budgethilfe. Geld sei viel vorhanden; Probleme gebe es jedoch unter anderem
bei den Personalressourcen. „Einige Geber sehen vor lauter Pariser Deklaration
die Bedürfnisse vor Ort oft nicht mehr“, so Studer. Es sei auch ihr Ziel, die
Pariser Deklaration umzusetzen, „aber in einem realistischen Zeitraum“.
Mehr Staat sei gut, sagte indes Jochen Ehmer von SolidarMed, „aber wen erreicht
das Geld? Wird es korrekt verwaltet?“ Als NGO stehe man angesichts der drückenden
Krankheitslast gerade in abgelegenen Regionen, wo die Menschen zum Teil keinen
Zugang zum Gesundheitssystem hätten, stets im Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit
und schnellen Resultaten. Und letztere seien über nationale Strukturen nicht
zu erreichen, „weil diese häufig nicht funktionieren“.
Dass die Zusammenarbeit mit dem Staat für private Gesundheitsorganisationen
auch eine Chance sein kann, zeigte Daniele Giusti vom Katholischen Medizinischen
Büro in Uganda auf. Dessen Gesundheitssystem geht auf die koloniale Vergangenheit
zurück, in der nicht die Regierungen, sondern katholische Organisationen in
ihren Missionarsstationen die gesundheitliche Versorgung der indigenen Bevölkerung
übernahmen. Das nichtstaatliche Gesundheitssystem geriet jedoch mit den steigenden
Gesundheitskosten in die Krise und musste sich umorganisieren und stärker mit
dem Staat zusammenarbeiten. Heute habe sich das missionarische Krisenmanagement
zu geplanten, nichtprofitorientierten Organisationen gewandelt, die – mit klar
definierten Spielregeln – eng mit dem Gesundheitsministerium zusammenarbeiteten.
Der Gesundheitsbereich habe dadurch eine Lobby erhalten, sagt Giusti: „Es ist
uns gelungen, uns zu positionieren: Der Gesundheitsminister hat verstanden,
wie wichtig der private Sektor als Katalysator von Veränderungen ist.“ Allerdings
sei mit der neuen Regierung auch diese Zusammenarbeit ins Wanken geraten, „aber
wir arbeiten daran“. Trotz aller Schwierigkeiten habe die Zusammenarbeit zwischen
Regierung und NGOs einen gemeinsamen Nutzen gebracht und man habe gelernt, sich
gegenseitig Rechenschaft abzulegen.
Diese Rechenschaftspflicht erhält laut Lucy Koechlin vom „Basel Institute on
Governance“ einen immer grösseren Stellenwert. „Trotz ihrer Schlüsselfunktion
haben NGOs noch keine Gouvernanz entwickelt, die dieser Funktion entspricht“,
sagte Koechlin am Symposium. Gerade hinsichtlich Qualitätssicherung und Management
zeigten viele NGOs Schwächen auf. So sei häufig nicht transparent, wie effektiv
eine Organisation ist, von wem sie finanziert ist und wer von ihr profitiert.
Auch Entscheidungsstrukturen seien nicht immer nachvollziehbar.
Der Druck auf die Strukturen von NGOs nehme jedoch zu, und „Corporate Governance“,
also verantwortungsbewusste Unternehmungsführung, werde immer mehr zum Thema.
Koechlin führte aber auch an, dass die Bemühungen, eine grössere Transparenz
und Rechenschaft zu erzielen, „nicht zwingend zu einer effiktiveren Organisation“
führten und dass unnötige bürokratische Hürden wichtige Ressourcen binden könnten.
Auch sei eine staatliche Regulierung nicht immer als Qualitätssicherung gedacht,
sondern als Kontrollmechanismus, um ungeliebte Organisationen auszuschliessen:
„Damit laufen die NGOs Gefahr, zum blossen Dienstleistungsanbieter zu werden
und ihre Werte nicht mehr artikulieren zu können.“
* Manuela Ryter ist Redaktorin bei der Presseagentur InfoSüd, www.infosued.ch/.
Dokumentation des Symposiums:www.medicusmundi.ch