Wenig Sexuelle Gesundheit für die Mädchen in Burkina Faso

Mädchenrechte, Sexuelle Aufklärung - Fehlanzeige

Von Simone Schwarz

Genitalverstümmelung, Kinderehen, mangelnde Sexualaufklärung und geringe Bildungschancen – um die Gesundheit von Mädchen in Burkina Faso ist es schlecht bestellt. Mit welchen Maßnahmen lässt sich eine messbare Verbesserung der allgemeinen und sexuellen Gesundheit von Mädchen erreichen? Wie können gesellschaftlicher Wandel und eine dauerhafte Verhaltensänderung bei Familien angestoßen werden? Eine groß angelegte Kampagne von SAIDA International e.V. kombiniert Aufklärung über Mädchenrechte mit konkreten Maßnahmen.

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Mädchenrechte, Sexuelle Aufklärung - Fehlanzeige

Frauen debattieren. Foto: SAIDA

 

Die Situation von Mädchen im ländlichen Raum

Burkina Faso wird seit 1971 unter den least developed countries geführt, die Hälfte der Bevölkerung lebt in grosser Armut. Die anhaltende Armut ist auch einer der Gründe für die hohe Rate der Müttersterblichkeit. Laut Weltbank liegt die Müttersterblichkeitsrate 2017 bei 320 Todesfällen auf 100.000 Lebendgeburten (Deutschland: 7). Sexualaufklärung wird in den Schulen kaum betrieben, sexuelle und reproduktive Rechte nur sporadisch thematisiert. Nur rund 16 Prozent der Mädchen und Frauen haben Zugang zu Verhütungsmethoden. Die Praktik der Genitalverstümmelung von Mädchen ist trotz jahrzehntelanger Aufklärungsarbeit von Regierung und Organisationen und des bereits seit 1996 geltenden gesetzlichen Verbots noch immer sehr stark verbreitet (bei 76 Prozent unter den 15 bis 49 Jahre alten Mädchen und Frauen). Der United Nations Population Fund (UNFPA) hat 2015 in einem Bericht die demographischen Gemeinsamkeiten der Verbreitungsländer beleuchtet: Sie alle haben eine sehr junge Bevölkerung, hohe Geburtenzahlen sowie hohe Mütter- und Kindersterblichkeitsraten.

Mädchen demonstrieren für Mädchenrechte. Foto: SAIDA

 

Der desolate Zustand des Gesundheitswesens, die Lage im Bildungsbereich (Einschulungs- und Schulabbruchquote, fehlende Berufsausbildung und Jugendarbeitslosigkeit) sowie die verbreitete Gewalt an Kindern – all das behindert die soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die einzelnen Probleme sollten also sektorübergreifend adressiert werden. SAIDA International e.V. hat mit lokalen Partnern bereits Aufklärungskampagnen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit durchgeführt. Die Informationsarbeit richtete sich dabei an eine überwiegend ländliche Bevölkerungsgruppe. Dabei wurden Themen sowie Familienplanung, Schutz vor Genitalverstümmelung und Frühehe sowie die Risiken zu früher Schwangerschaft und fehlender Geburtshilfe angesprochen. Anfang 2016 hat SAIDA eine chirurgische Kampagne durchgeführt, um Frauen und Mädchen mit urogenitalen Leiden kostenlose Eingriffe zu ermöglichen und gleichzeitig burkinische Fachkräfte in den notwendigen Operationstechniken auszubilden. Durch die im Vorfeld durchgeführte Informationsarbeit konnte die Bevölkerung in 15 Dörfern in der Provinz Sourou erreicht werden. Die Bevölkerung hat seither immer wieder bekräftigt, dass diese Informationen hochwillkommen sind. Besonders wurde betont, wie wichtig die 2018 von SAIDA fertiggestellte neue Geburtshilfestation sei, die Schwangerschaftsvor- und -nachsorge sowie die medizinische Betreuung von Säuglingen und Kleinkindern umfasst. So wurden zum Beispiel jährliche Kindervorsorgeuntersuchungen für Kinder ab fünf Jahre und Schutzimpfungen etabliert. Jedes Kind erhält einen Gesundheitspass (carnet de santé), der auch die körperliche Unversehrtheit der Mädchen belegt. Geburtsurkunden werden erstellt als Schutz und Voraussetzung für die spätere Einschulung der Mädchen. Peer-to-peer-education in Jugendclubs hebt den Wissensstand bei Jugendlichen und fördert den Respekt zwischen Jungen und Mädchen.

Die bisherigen Sensibilisierungskampagnen haben gezeigt, dass der Informationsstand der ländlichen Bevölkerung noch deutlich schlechter ist, als während der Planungen angenommen worden war. Zum Beispiel haben Mädchen und Frauen fast keine Kenntnisse über Vorgänge wie ihren Zyklus, Empfängnis und Schwangerschaft. Jugendliche führen an, dass sie in der Schule entweder nie Aufklärungsunterricht hatten oder dabei nur wenig Kenntnisse erlangt haben, die sich oft als nicht profund erweisen. Hier setzt das Projekt von SAIDA an: Es soll die reproduktive und sexuelle Gesundheit und Bildung der Mädchen im medizinischen Distrikt Tougan (Provinz Sourou) verbessern.

Junge Mädchen in Sourou. Foto: SAIDA

 

Lokaler Partner vor Ort

SAIDA International e.V. ist seit 2011 in der Provinz Sourou aktiv und arbeitet seither mit lokalen Partnern, insbesondere Frauen-Selbsthilfeorganisationen. SAIDA unterstützt die Frauen fachlich und finanziell sowie organisatorisch zum Beispiel bei der Vernetzung mit anderen einheimischen Organisationen. In einer Gemeinde wird seit 2011 ein Pilotprojekt zum Mädchenschutz umgesetzt. Durch die langjährigen Projekte im Austausch mit Schulen, Gesundheitsstationen, Eltern und traditionellen Autoritäten (Dorfchefs und Ältestenräte) ist der Boden bereitet für großangelegte Kampagnenarbeit zu kontroversen Themen wie Genitalverstümmelung und Kinderehe mit ihren verheerenden Folgen für Mädchen. Die lokalen Partner tragen die Kampagne im medizinischen Distrikt Tougan mit seinen 38 lokalen Gesundheitsstationen.

 

Welche Zielgruppen werden angesprochen?

Die Sensibilisierungskampagne richtet sich an alle Frauen, Männer, Jugendlichen und Senioren der Dörfer und Gemeinden. Multiplikatoren wie Lehrkräfte, Gesundheitspersonal, Gendarmerie sowie traditionelle und religiöse Autoritäten werden gezielt angesprochen. Die Familien werden angesprochen, um sie für die Teilnahme an der Gesundheitsvorsorge zu motivieren.

Insbesondere Multiplikatoren im Bildungs- und Gesundheitsbereich können unterstützen bei der Motivation der Familien. Durch die Thematisierung von Mädchenrechten und persönlichen Dialog wird eine Kultur des Hinsehens etabliert. Nachbarn, Lehrer und Hebammen achten darauf, dass die Rechte der Mädchen auf gesundes, gewaltfreies Aufwachsen und Schulbildung eingehalten werden.

 

Wie steht es um die Akzeptanz durch die Bevölkerung?

Entscheidend ist die Stärkung der lokalen Ressourcen. Zum Beispiel hatte die Frauenorganisation in der Gemeinde Gomboro in früheren Jahren keinerlei Mittel, um Projekte umzusetzen, die Bevölkerung kannte den Verein nicht einmal Mittlerweile haben die Frauen durch die Unterstützung von SAIDA ein eigenes Bildungszentrum und formulieren selbstbewusst ihre Ziele. Durch die positiven Effekte der bisher durchgeführten Projekte und den Dialog zu Frauen- und Kinderrechten hat die lokale Organisation Unterstützer gewonnen. Viele Familien engagieren sich jetzt für die Zukunft ihrer Töchter. Man sieht das Engagement etwa an der großen Beteiligung am Internationalen Frauentag, wo die Mädchen für ihre Rechte demonstrieren und die Redebeiträge der lokalen und regionalen Würdenträger ganz offensiv mit den Themen Genitalverstümmelung, Kinderehe, Teenagerschwangerschaften und fehlender Bildung für Mädchen umgehen. Gerade weil zum Beispiel die von SAIDA bereitgestellte Infrastruktur (Grundschule und Geburtshilfestation) allen Menschen offenstehen, ist auch die Akzeptanz für die Mädchenschutzarbeit gestiegen. Mehr Menschen sehen jetzt die Vorteile der gemeinsamen Arbeit und verteidigen sie gegen diejenigen, die an schädlichen Traditionen festhalten wollen. Die kostenlose Abgabe von Geburtsurkunden und Gesundheitspässen ist ein dabei ein probates Mittel zur Motivation der  Eltern, die Angebote der lokalen Gesundheitsstationen wahrzunehmen und so die Gesundheitsvorsorge ihrer Kinder zu verstetigen.

 

Mädchen aus Mädchenschutzprogrammen. Foto: SAIDA

 

Ist die Nachhaltigkeit des Vorhabens sichergestellt?

Dass die Maßnahmen im Projekt nachhaltige Wirkung entfalten, wird sichergestellt durch die umfassende Beteiligung der örtlichen Bevölkerung und der Multiplikatoren (wie pädagogisches und medizinisches Personal, traditionelle Autoritäten). Maßnahmen, wie die Gesundheitsvorsorge, die Gesundheitspässe und Geburtsurkunden selbst sind einfach zu erläutern und können gut nachgehalten werden. Die Wirksamkeit der Aufklärungskampagnen wird durch regelmäßige Wiederholungsbesuche in den Gemeinden gesichert, so dass sich Wissen festigt, Dialog angeregt und aufrechterhalten wird, was mit einer Verhaltensänderung einhergeht. Jugendclubs zur Sexualaufklärung sind eine dauerhafte Einrichtung, die sich durch peer-to-peer-education erhalten, entwickeln und erneuern. Das heißt, ein dauerhafter Kompetenzgewinn durch Wissenstransfer wird erreicht. Die Zielgruppen erkennen den Nutzen aus Kinder-Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheitspass und Geburtskurkunde unmittelbar, wodurch die Maßnahmen akzeptiert werden und sich langfristig etablieren. So kann ein Modellprojekt für die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Mädchen im ländlichen Raum entwickelt werden.                               

SAIDA International e.V. setzt sich seit 2010 für die Umsetzung von Frauen- und Kinderrechten in Entwicklungsländern ein. Schwerpunkte der konkreten Projektarbeit sind Mädchenbildung, Schutz vor Genitalverstümmelung und Kinderehe, Stärkung von Frauen sowie die Verbesserung der reproduktiven Gesundheit. In Deutschland leistet SAIDA entwicklungspolitische Bildung und betreibt seit 2018 die erste Fachberatungsstelle Genitalverstümmelung in Mitteldeutschland. Mit dem SAIDA Kompetenzzentrum steht seit 2019 auch eine umfassende medizinische Versorgung für betroffene Mädchen und Frauen bereit, die rekonstruktive Eingriffe wünschen.

 

Simone Schwarz
Simone Schwarz ist Gründungsmitglied und seit 2010 Geschäftsführerin von SAIDA International e.V. Sie leitet die Auslandsprojekte des Vereins sowie die entwicklungspolitische Bildung und Mädchenschutzarbeit in Deutschland.