Der Kampf gegen den Tabakkonsum: Parallelen zwischen internationaler und schweizerischer Problematik

Tabakprävention: das Rad neu erfinden?

Von Theodor Abelin

Auch wenn sich die Zigarettenepidemie in verschiedenen Teilen der Welt in unterschiedlichen Stadien befindet, muss doch stets darauf geachtet werden, dass Lehren, die bereits anderswo gezogen worden sind, berücksichtigt werden, bevor Mittel und wertvolle Zeit falsch investiert werden. Wenn also in der schweizerischen Tabakprävention ein neuer Akzent auf politische Ansätze gelegt wird, stimmt dies mit der "Tobacco Free Initiative" überein, der in der Weltgesundheitsorganisation WHO unter der neuen Leitung von Gro Harlem Brundtland höchste Priorität eingeräumt wird.

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Gemäss Angaben der WHO sind rund ein Drittel der Weltbevölkerung über 15 Jahren regelmässige Raucher. Die Folge sind jährlich fast 3,5 Millionen dem Tabak zuzuschreibende Todesfälle, davon 500'000 in Europa und 8'000 bis 10'000 in der Schweiz. Die Zahl der Tabak-Todesfälle steigt im internationalen Durchschnitt ständig an. Dazu kommt für Nichtraucher und Nichtraucherinnen, die regelmässig dem Rauch anderer ausgesetzt sind, eine Risikoerhöhung für Lungenkrebs und koronare Herzkrankheiten von 25 bis 30%.

Seit Jahren wissen wir, wie jemand zu rauchen beginnt, nikotinabhängig wird, trotzdem entgegen seinem Wunsch weiterraucht und schliesslich vorzeitig und oft noch mitten aus einem aktiven Leben heraus stirbt. Diese Problematik zeigt weltweit - sei es im armen Tansania, in der Ukraine oder in der reichen Schweiz - ein ähnliches Muster: Unter dem Eindruck der durch die Werbung suggerierten Assoziation von Rauchen mit Stärke, Unabhängigkeit und Reichtum, im Streben nach Gruppenzugehörigkeit unter Gleichaltrigen, greifen Kinder und Jugendliche zur angebotenen Zigarette. Bald sind sie nikotinabhängig, und weil sie bei der Einnahme ihres psychoaktiven Stoffes gleichzeitig Reizgase, Kohlenmonoxid und Teer inhalieren, entwickelt sich bei ihnen bereits die Grundlage für asthmoide Bronchitis, Arteriosklerose und Krebs.

Notwendige Vielfalt der Programme

Entsprechend werden für die Programme und Massnahmen zur Bekämpfung des Tabakkonsums weltweit ähnliche Ziele gesetzt:

  • Verhinderung des Rauchbeginns bei Kindern und Jugendlichen
  • Förderung des Aufhörens mit Rauchen
  • Schutz vor dem Passivrauchen durch Gewährleistung rauchfreier Räume in Bereichen wie Arbeit, Verpflegung, Erholung und Transport.
  • Aktivitäten, die sich an bestimmte Zielgruppen wie schwangere Frauen und Personen mit Beispielsfunktion wie Lehrer und Angehörige der Gesundheitsberufe richten

Meist stellen sich je nach den Zielen unterschiedliche Organisationen hinter diese Programme: dem Erziehungswesen nahestehende Stellen wie schulärztliche Dienste und Fachstellen für Suchtprävention zur Einflussnahme auf Jugendliche; die Ärzteschaft sowie Lungen- Krebs- und Herzligen (oder die von diesen geschaffenen regionalen Fachstellen) für die Angebote zur Beratung aufhörwilliger Raucher; Bürgerbewegungen (grassroots organizations), die sich für das Recht der Nichtraucher auf reine Luft einsetzen. In zahlreichen westlichen Ländern werden diese Bestrebungen durch übergeordnete Fach- und Dachorganisationen koordiniert, so in der Schweiz durch die bereits seit den frühen Siebzigerjahren bestehende Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz (AT), die zudem Dokumentationsaufgaben erfüllt und selbst Programme durchführt. Das bekannteste ist der jährlich auf den 31. Mai angesetzte und in der Bevölkerung gut bekannte "Tag des Nichtrauchens", der nicht nur ein unentbehrliches Vehikel zur Gewinnung der Aufmerksamkeit der Medien darstellt, sondern auch dazu dient, regelmässig die Zusammenarbeit im nationalen Netzwerk der beteiligten Organisationen und Regionen zu pflegen und auszubauen.

Auch die heute laufenden gesamtschweizerischen Programme sind hier zu nennen, namentlich die Kampagne "Die neue Lust: Nichtrauchen", durch welche die AT, die Schweizerische Stiftung für Gesundheitsförderung (SSGF), die Schweizerische Krebsliga (SKL) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gemeinsam mit modernen Werbemethoden Jugendlichen das Positive Image des Nichtrauchens näherbringen, sowie das "Massnahmenpaket Tabak", für welches das (BAG) aufgrund eines Bundesratsbeschlusses seit 1996 über ein jährliches Budget von rund 2 Millionen Franken verfügt, und dessen drei Teilprogramme die oben genannten Schwerpunkte der Tabakbekämpfung widerspiegeln.

Beschränkter Erfolg

Während der Siebziger- und Achtzigerjahre schien in der Schweiz, wie auch in zahlreichen anderen westlichen Ländern, der Kampf gegen den Tabakkonsum bemerkenswerte Früchte zu tragen: Bei Männern in der zweiten Lebenshälfte, der zunächst hauptsächlichen Zielgruppe der Förderung des Aufhörens, nahm die Zahl der Raucher deutlich ab, und in der Folge reduzierte sich auch die Inzidenz von Lungenkrebs und Herzinfarkt. Gleichzeitig konnte ein deutlicher Rückgang des Rauchens bei Jugendlichen beobachtet werden. Heute weiss man jedoch, dass dieser Erfolg beschränkt war: die erfolgreichen Aufhörer gehören fast ausschliesslich den privilegierteren Sozialschichten an; seit Ende der Achtzigerjahre hat sich der Anteil der Raucher und Raucherinnen im Jugendalter wieder fast verdoppelt. Im internationalen Vergleich befinden sich in der Schweiz unter den regelmässigen Rauchern ausgesprochen wenige, die konkret darauf eingestellt sind, zu rauchen aufzuhören. Parallel dazu ist in der schweizerischen Bevölkerung gemäss einer neuen Studie der EU die Bereitschaft, der tabakbezogenen Prävention eine hohe Priorität einzuräumen, deutlich geringer als in vergleichbaren europäischen Ländern.

Falsche Schuldzuweisung

Ein weiteres Zeichen des fehlenden Problemverständnisses ist, dass auch in Kreisen, die an sich das Tabakproblem lösen möchten, die Raucher anstelle der Tabakindustrie für ihre Gesundheitsschädigungen verantwortlich gemacht werden. 1998 wurde als Ergebnis einer neuen Studie bekannt, dass das Rauchen die schweizerische Volkswirtschaft jährlich rund 5 Milliarden Franken kostet, unter Berücksichtigung des Geldwertes des durch die Raucherkrankheiten verursachten Leidens sogar 10 Milliarden. Doch wurde die Schuld aufgrund der Selbstschädigung den Rauchern zugeschrieben, und man gab sich damit zufrieden, dass es ja die Raucher selbst sind, die die sozialen Kosten 'ihres Lasters' begleichen.

Dass die Raucher nicht die Täter, sondern die Opfer sind, und dass die Zigarettenindustrie zur Verantwortung gezogen werden sollte, ist auf Regierungsebene erst in den Vereinigten Staaten erkannt worden, wo sich zahlreiche Bundesstaaten von der Tabakindustrie Milliarden an Haftpflichtleistungen für verursachte Krankheiten bezahlen lassen. Allerdings muss bedacht werden, dass die Bezahlung der Milliarden durch Preiserhöhungen schlussendlich auch wieder durch die Raucher erfolgen wird. Fast überall, und auch in der Schweiz, ist es der Tabakindustrie gelungen, sich trotz dieser Zusammenhänge als ehrenhafte Mitspieler in der nationalen Wirtschaft, ja als einer der treusten Alliierten der Regierung darzustellen, indem sie für den Staat praktisch kostenlos Milliardenbeträge an Tabaksteuern einzieht. So kommt es, dass verschiedene Regierungen das zynische Spiel der Tabakwirtschaft nicht zur Kenntnis nehmen wollen und gesetzgeberische Massnahmen, die eine wirksamere Prävention bewirken könnten, verhindern.

Neue Einsichten, neue Ansatzpunkte

Neue Analysen identifizieren einen Teufelskreis: Die zur Prävention der rauchbedingten Krankheiten zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel genügen nicht, um durch Kampagnen ini den Massenmedien das Tabakproblem dauerhaft ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen. Dazu wären zehnmal grössere Summen erforderlich, so wie sie in der Schweiz zur Bekämpfung von Aids oder der illegalen Drogen vorhanden sind. Ebensowenig konnte bisher in der Schweiz an ein professionelles, gesundheitsorientiertes Sponsoring von Sport und Kultur gedacht werden, wie es etwa im australischen Bundesstaat Victoria durch Einnahmen aus der Tabaksteuer finanziert wird, und das der Idee des Nichtrauchens und der Gesundheit stete positive Sichtbarkeit verschafft. Damit sind auch die politischen Entscheidungsträger schwer zu erreichen, welche wiederum Budgeterhöhungen für präventive Aktivitäten ermöglichen könnten.

Es sind also neue Ansatzpunkte erforderlich, die die politische Bewusstseinsbildung des Tabakproblems in den Mittelpunkt stellen.

  • Die Angehörigen der Gesundheitsberufe sollten gemeinsam und mit sichtbarem Nachdruck fordern, dass alle Produkte, mit denen die psychoaktive und abhängigkeitsbildende Substanz Nikotin dem Körper zugeführt wird, einheitlich nach den Massstäben der Medikamenten-Kontrolle geregelt werden.
  • Die Raucher und Raucherinnen sollten erkennen, dass sie Opfer eines raffinierten Systems der Verführung, falscher Informationen und Abhängigkeitsbildung geworden sind, und den Ehrgeiz entwickeln, aus dieser Abhängigkeit rasch auszubrechen.
  • Die Politiker müssen erkennen, dass die Tabakwirtschaft aus dem Rahmen der akzeptablen und förderungswürdigen Wirtschaftszweige herausfällt, dass ihr im Interesse des Allgemeinwohls klare Schranken gesetzt werden müssen, und dass sie, ebenso wie in den Vereinigten Staaten, auch finanziell zur Verantwortung gezogen werden muss.

Globale Aspekte

Diese Zusammenhänge und neuen Ansatzpunkte gelten nicht nur für die Schweiz, sondern weltweit. Während in den industrialisierten Ländern der westlichen Welt der Höhepunkt der Epidemie überwunden zu sein scheint, nimmt in den Entwicklungsländern sowie in den Ländern Zentral- und Osteuropas das Rauchen noch stark zu. Dahinter steht ein durch die Globalisierung und Liberalisierung der Weltwirtschaft stark erleichterter Vormarsch der internationalen Tabakmultis, die die lokalen Zigarettenfirmen und Staatsmonopole aufkaufen, ihre weltweit bekannten Erfolgsmarken lokal lancieren und durch eine aggressive Werbung Massen neuer Konsumenten (und zukünftiger Opfer) gewinnen. Dagegen kann nur durch koordinierte globale Anstrengungen wirksam entgegnet werden. Gerade, weil in der Schweiz die politische Unterstützung für eine erfolgreiche Tabakprävention so schwer zu erreichen ist, könnte sie ihre Erfahrungen in wertvoller Weise mit weniger erfahrenen Ländern teilen.

*Professor Theodor Abelin ist Leiter des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin an die Universität Bern. Seine Forschungsgebiete umfassen verschiedene Aspekte der Epidemiologie und Prävention tabakverursachter Krankheiten, sowie Probleme der Gesundheitssystemforschung und der Umweltepidemiologie. Professor Abelin war Mitgründer und erster Präsident der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz und leitet zurzeit die Task Force on Global Tobacco Control der Weltföderation der Public Health-Gesellschaften (World Federation of Public Health Associations).