Den Putu Puma gemeinsam erlegen!

Von Verena Wieland

Die Geschichte vom Putu Puma nimmt Bezug auf den im Amazonas allgemein bekannten Topoi von Tiger und Jger. Der Tiger symbolisiert die Tuberkulose; die Geschichte erzählt, welche Gefahren er birgt, wie er sich manifestiert und wie er bekämpft und besiegt werden kann. Wichtige Grundaussage der Geschichte ist, dass er nur in gemeinsamer Anstrengung und lückenloser Behandlung besiegt werden kann und der schlafende Tiger bei Mangelernährung erwachen und auf Familienangehörige übergreifen kann.

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In der ecuadorianischen Amazonasprovinz Sucumbíos unterstützt das Schweizerische Rote Kreuz SRK seit mehreren Jahren das Basisgesundheitsprogramm der lokalen Indianerorganisation FOISE, das die Kichwa-Bevölkerung mit rund 8'000 Menschen in 51 teilweise abgelegenen Siedlungen begünstigt. Nebst der Gesundheitspromotion bilden Gesundheitsbrigaden mit präventiven und kurativen Diensten eine wichtige Komponente des Programms. Die Ärzte der Gesundheitsbrigaden stiessen häufig auf Patienten mit Verdacht auf Tuberkulose. Mit den Zielen, genauere Informationen zu Prävalenz und Ansteckungswege zu erhalten sowie dem lokalen Kontext angepasste Behandlungs- und Präventionsmethoden zu erarbeiten, starteten SRK und FOISE Mitte 1998 in fünf Gemeinschaften ein Tuberkulose-Pilotprojekt.

Die Mehrzahl der Kichwa-Männer arbeitet saisonal auf Bohr- und Baustellen der Erdölförderung. Im Gegensatz zu den Frauen sind sie sehr mobil und häufig mit Problemen und Krankheiten der Aussenwelt - Alkohol, Fehlernährung, Kriminalität, Prostitution - konfrontiert. In der Provinz Sucumbíos mit 300'000 Einwohnern gibt es laut offizieller Statistik auf 100'000 Personen 140 TB-Fälle. Die Statistik erfasst jedoch die indigene Bevölkerung nur marginal: Während der Pilotphase wurden allein in den vom Projekt erfassten fünf Gemeinschaften mit 1'184 Einwohnern 54 Personen mit offener TB diagnostiziert. Tuberkulose wird von der Kichwa-Bevölkerung traditionellerweise mit schwarzer Magie der Schamanen erklärt, kann in ihrem Verständnis folglich auch nur durch weissen Zauber eines Schamanen geheilt werden.

Das Pilotprojekt basiert auf dem bewährten SRK-Ansatz für Gesundheitsprogramme in Südamerika: Projektträger ist FOISE, die als indigene Basisorganisation von der Bevölkerung anerkannt und getragen wird. Das SRK leistet Begleit- und Beratungsaufgaben. Alle im Gesundheitsbereich tätigen Akteure der Region, insbesondere die Gesundheitsbehörden und –zentren, werden aktiv einbezogen. Sowohl Diagnosemethoden, direktüberwachte Behandlung (DOT) der Patienten wie auch Aufklärungs- und Präventionsaktivitäten sind den lokalen Denkformen und sozialen Strukturen der Bevölkerung angepasst.

Für Aufklärungs- und Präventionsaktivitäten erarbeitete die Gesundheitsequipe der FOISE eine Geschichte, die sich in Inhalt, Figuren und Struktur eng an lokale Legenden anlehnt. Während der Sensibilisierungskampagne wird diese Geschichte erzählt oder mit Marionetten aufgeführt. Auf die Hauptfigur und Verkörperung der Tuberkulose, den Putu Puma, kann bei späteren Aktivitäten immer wieder Bezug genommen werden.

Für Behandlung und Begleitmassnahmen werden Verwandte oder Freiwillige aus dem Dorf ausgebildet, die von den Gesundheitspromotoren der FOISE und dem Personal der Gesundheitsposten unterstützt werden. Diese Freiwilligen übernehmen die zentrale Rolle, die Patienten bei der Einnahme der Medikamente zu überwachen und zu begleiten. Da sie die Patienten auch in schwierigen Momenten zur Einnahme der Medikamente motivieren müssen, ist ihre Ausbildung und Betreuung besonders wichtig. Die regionalen Gesundheitsbehörden sind verantwortlich für die Versorgung mit Medikamenten aus dem nationale TB-Programm, die via Gesundheitszentren und Freiwillige abgegeben werde. Mit Zusatzausbildung, Sensibilisierung und der Einrichtung eines kleinen Labors im Zentrum konnte das Personal zur konstruktiven Zusammenarbeit mit den Gesundheitspromotoren und Freiwilligen motiviert werden. Neben Aufklärung und Therapie umfasst das Projekt eine Ernährungskomponente, die von den Frauengruppen der FOISE durchgeführt wird. Mit einem Kredit aus dem Rotationsfonds der Organisation, Ausbildung und Beratung erweitern die Frauen durch Gemüseanbau und Geflügelhaltung die Ernährungsgrundlage der Familie.

Die Auswertung der Pilotphase zeigte insgesamt positive Resultate, aber auch einige Problemfelder und Schwierigkeiten. Strukturell bedingt und somit nur sehr begrenzt beeinflussbar sind Finanzknappheit, Bürokratie und Mangel an Medikamenten bei den Gesundheitsbehörden. Dank guter Koordination, gemeinsamer Planung und motivierter Zusammenarbeit aller Beteiligten konnte gezeigt werden, dass Kostensenkung und Effizienzsteigerung möglich sind. Um die Behandlung nicht zu gefährden musste das Projekt jedoch Kosten für einzelne Medikamente übernehmen.

Als langsamer und aufwendiger, aber letztlich für den Erfolg ausschlaggebender Prozess erwiesen sich Vorbereitung und Sensibilisierung der Bevölkerung und der freiwilligen Helfer. Sie führten zur veränderten Wahrnehmung der Tuberkulose und zum Bewusstsein, dass die Heilung einer gemeinsamen Anstrengung bedarf. Auf den Freiwilligen lastet eine grosse Verantwortung, ihre Unterstützung ist deshalb besonders wichtig. Die Gesundheitspromotoren der FOISE in erster und das Personal des Gesundheitszentrums in zweiter Instanz müssen ihnen zur Seite stehen. In diesem Bereich zeigt sich auch deutlich die Rolle der Basisorganisation als Projektträger: als ihre Vertreterin ist sie von der Bevölkerung anerkannt und geniesst das nötige Vertrauen, um tiefgreifende Veränderungsprozesse einzuleiten und durchzuführen. FOISE verfügt zudem über die nötige Struktur und Präsenz (Dorfführer, Promotoren, Frauengruppen) in den Dörfern, um die Begleitung und Überwachung zu gewährleisten.

Nebst dem unmittelbaren Resultat, der erfolgreichen Behandlung von 49 Patienten, zeigte sich auch eine positive Wechselwirkung mit dem gesamten Gesundheitsprogramm der FOISE. Einerseits konnte das TB-Projekt auf die bestehende Struktur aufbauen, andererseits trug die gute Zusammenarbeit im TB-Bereich zu einer Verbesserung der Beziehungen zu den Gesundheitsbehörden, insbesondere der Zentren, bei: nebst TB konnten so weitere nationale Programme wie Malaria oder Leishmaniasis integriert werden.

Die zunehmend enge Zusammenarbeit zwischen Basisorganisation und Gesundheitsbehörden ermöglicht für die kommende Phase den Aufbau eines umfassenden Gesundheitsnetzes, das nicht nur die indigene, sondern die Gesamtbevölkerung einer Region berücksichtigt und die einzelnen Akteure eng koordiniert. Mittelfristig könnten somit auch Siedlungen erreicht werden, deren mestizische und schwarze Bevölkerung die Tuberkulose in die Region brachte.

Die Resultate und Empfehlungen der internen Auswertung der Pilotphase bilden die Grundlage für die Weiterführung des TB-Projektes, das im Rahmen des Gesamtprogramms seinen Aktionsradius schrittweise ausgeweitet.

Die Kosten der zweijährigen Pilotphase betrugen CHF 65'000, wobei ein wichtiger Anteil für Projektentwicklung und -planung sowie Laboreinrichtungen aufgewendet wurde. Für die reguläre Durchführung im Rahmen des Gesundheitsprogramms wird mit Kosten von rund CHF 15'000 pro Jahr gerechnet.

* Verena Wieland ist Programmverantwortliche beim Schweizerischen Roten Kreuz SRK. Kontakt: Verena.Wieland@redcross.ch