Wunderpflanze Artemisia annua? Wundermittel "Uwemba"?

Positionen zu einem pflanzlichen Wirkstoff gegen Malaria

Von Thomas Schwarz

Am 6. Juni 2000 berichtete die Sendung "10 vor 10" des Schweizer Fernsehens von einem Malaria-Mittel aus der Heilpflanze Aremisia annua, das vom Unternehmen N.U.S. AG des Baselbieter alt Regierungsrates Werner Spitteler produziert und in Tansania vertrieben wird: "Die Wunderpflanze, die in Missions-Spitälern als 'Uwemba-Pastilles' abgegeben wird, erzielt erstaunliche Heilerfolge. In den öffentlichen Verkauf ausserhalb der Missionspitäler darf das Präparat in Tansania aber erst, wenn genaue wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt worden sind. Doch der Druck wächst für eine schnellere Zulassung des Artemisia-Produkts."

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Artemisia annua ist nicht nur eine schöne Pflanze. Ihre Heilwirkung und insbesondere die Anti-Malaria-Aktivität ihrer Inhaltsstoffe sind in China schon seit Jahrhunderten bekannt. Und so werden der Wirkstoff Artemisinin und seine Derivate in Asien bereits erfolgreich in der Malariabekämpfung eingesetzt. Gerade bei einer Krankheit wie Malaria, wo von seiten der Industrie relativ wenig Interesse an Forschungs- und Entwicklungsarbeit besteht, ist es selbstverständlich, dass Informationen aus der Ethnobotanik besonders aufmerksam verfolgt werden. Derzeit laufen deshalb auch breit angelegte, von der WHO koordinierte Versuche zum Einsatz der Artemisinin-Wirkstoffe in Afrika. Dabei geht es vor allem darum, das offenbar gewaltige Potential des Heilmittels weiterzuentwickeln und den spezifischen afrikanischen Verhältnissen anzupassen.

In diesen Kontext fällt nun die Erfolgsmeldung einer kostengünstigen und raschen Malariaprophylaxe und -behandlung durch die "Uwemba-Pastilles" der N.U.S AG. Die überaus hohen Erwartungen an den Einsatz der Pastillen, wie sie im eingangs zitierten Fernsehbericht zum Ausdruck kommen, haben in Fachkreisen eine Kontroverse ausgelöst. Umstritten ist insbesondere der breite und undifferenzierte Einsatz des von der N.U.S. AG als "Natural Uwemba System for Health. Product of Switzerland" vermarkteten Totalpflanzenpräparates aus Artemisia annua zusammen mit acht weiteren Kräutern.

Artemisinin und Uwemba sind auch ein "Basler Thema": Neben der N.U.S. AG haben sich verschiedene Unternehmen aus der Region (Mepha, Novartis, Weleda) sowie das Schweizerische Tropeninstitut mit der Heilpflanze beschäftigt und Grundlagen-, Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Anwendung der Artemisinin-Wirkstoffe geleistet. Wir haben in der "Basler Artemisinin-Szene" einige Stellungnahmen gesammelt, die wir im folgenden wiedergeben.

Wo steht Ihr Unternehmen in der Erforschung, Entwicklung und eventuellen Vermarktung von Heilmitteln oder Heilmittelbestandteilen zur Malariabekämpfung auf der Basis von Artemisinin und/oder Artemisinin-Derivaten?

Corinne Peter, Mepha*: Seit 1992 arbeitet Mepha mit Artesunat, einem Artemisinin-Derivat, welches als Extrakt aus der Pflanze Artemisia annua gewonnen wird. Der Ertrag von Artemisinin aus den Blättern der Artemisia annua ist variabel und hängt nicht nur von der Sorte, sondern auch von den Umweltbedingungen und vom Boden ab. Über mehrere Jahre unterhielt Mepha eigene Artemisia annua-Plantagen in zehn verschiedenen Ländern mit dem Ziel, den Ertrag zu erhöhen. Bereits 1993 führte Mepha erste klinische Studien in verschiedenen Ländern Südostasiens, später auch in Lateinamerika und in Afrika durch. Mepha vermarktet heute ihr Artesunat unter dem Markennamen Plasmotrim® in fast allen endemischen Ländern Afrikas sowie in einigen asiatischen Ländern.

Daniel Marthe, Novartis Pharma AG*: Aufgrund eines 1994 mit chinesischen Partnern abgeschlossenen Lizenz- und Entwicklungsabkommens hat Novartis die Verantwortung zur weltweiten Entwicklung, Registrierung und Vermarktung des Artemisinin-Derivate enthaltenden, fixen Kombinationspräparates COARTEM® respektive RIAMET® (artemether + lumefantrine) inne. COARTEM®/RIAMET® wurde in der klinischen Indikation akute, unkomplizierte Plasmodium falciparum Malaria bei über 3'000 Patienten in Afrika, Asien und Europa erfolgreich untersucht. COARTEM® wird exklusiv und kostengünstig zur Malaria-Therapie in endemischen Ländern vermarktet. Die Erstvermarktung fand prioritätsmässig in Mai 1999 im afrikanischem Kontinent statt. Die Vermarktung ist zwischzeitlich in Afrika fortgeschritten und hat heuer in Asien fussgefasst; Lateinamerika wird anfangs 2001 erfolgen. RIAMET® wird ausschliesslich und zu marktgerechten Preisen zur Behandlung von importierten Malaria-Fällen in Industrieländern vermarktet. RIAMET® ist seit März 1999 in der Schweiz erhältlich und befindet sich zur Zeit kurz vor dem Abschluss des EU-Registrierungsverfahrens.

Benjamin Spitteler, N.U.S. AG*: Im Gegensatz zu anderen Unternehmen gehen wir in der Anwendung von Artemisinin ganz andere Wege. Es werden keine Einzelwirkstoff aus der Pflanze Artemisia annua genommen und in eine Tablette eingebaut. Wir verwenden die Blätter der ganzen Pflanze. Diese werden in ganz speziellen Verfahren gemahlen und zu einer Kräuterpastille (Uwemba-Pastilles) gepresst. Dies hat mehrere Vorteile: Pflanzen enthalten nicht nur einen Wirkstoff, sondern sehr viele. Dies hat Synergieeffekte zur Folge. Damit soll auch die Gefahr von Resistenzen gemindert werden. Durch die schonende Verarbeitung bleiben die Wirkstoffe in den Pflanzen erhalten. Und schliesslich kann sehr kostengünstig produziert werden, was für die Entwicklungsländer der entscheidende Faktor ist.

Rainier E. Dierdorf, Weleda*: Die Firma WELEDA AG in Arlesheim beschäftigte sich in den Jahren 1998 und 1999 recht intensiv mit Artemisia annua. Ausgehend von der Hypothese, dass die Verwendung der ganzen Pflanze, sei es als Droge oder als Gesamtextrakt, Wirksamkeiten zeigen könnte, die jenen des isolierten Artemisinins überlegen sind, wurden in unseren Laboratorien analytische und galenische Untersuchungen durchgeführt. Auf dieser Basis wurde in der Folge ein Präparat formuliert, das dann in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Tropeninstitut in verschiedenen Modellen getestet wurde. Die Hypothese konnte nicht belegt werden; die Wirksamkeit des Präparates entsprach jener des reinen Artemisinin. Eine weitere Bearbeitung wurde nach diesen Resultaten vorerst "auf Eis" gelegt. Prinzipiell ist WELEDA an pflanzlichen Wirkstoffen interessiert und bereit, hier auch entsprechende Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten und zu unterstützen.

Welche Anwendungsbereiche und –formen von Artemisia annua zeichnen sich aus heutiger Sicht ab?

Corinne Peter, Mepha: Das Mepha-Medikament Plasmotrim® ist in zwei Darreichungsformen erhältlich: in oraler Form als Lactab® zur Behandlung unkomplizierter Malaria sowie in rektaler Form als Rectocaps® zur Behandlung komplizierter, insbesondere zerebraler Malaria. Mepha ist die erste Anbieterin einer rektalen Form von Artesunat. Der Vorteil der Rectocaps® liegt einerseits in ihrer Thermostabilität: diese spezielle Form eines Suppositoriums schmilzt nicht selbst bei einer Temperatur von mehr als 40°C, was besonders in den Tropen ein entscheidender Vorteil ist. Andererseits überzeugen die Rectocaps® durch ihre einfache Anwendung: auch medizinisch ungeschultes Personal kann die Rectocaps® unter einfachsten Verhältnissen verabreichen. Damit kann die Behandlung jederzeit, auch in entlegenen Gebieten, ohne Zeitverzögerung eingeleitet werden. Drittens bieten die Rectocaps® in schweren Fällen eine echte Alternative zu der sonst notwendigen Injektion oder Infusion, welche immer das Risiko der Übertragung von Krankheiten wie HIV, Hepatitis und Ebola sowie anderer Infektionen birgt.

Mepha hat verschiedene Studien mit unterschiedlichen Dosierungen und unterschiedlicher Behandlungsdauer durchgeführt. Dabei stellte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Anzahl der Rückfälle und der verabreichten Gesamtdosis heraus. Um Rückfälle beziehungsweise Therapieversager zu vermeiden und der Bildung von Resistenzen entgegenzuwirken, empfiehlt Mepha heute bei Erwachsenen eine Totaldosis von 1200mg über 5 Tage. Dieses Therapieschema entspricht auch den neusten Empfehlungen der WHO (WHO Handbook of Management of severe Malaria, second edition).

Daniel Marthe, Novartis Pharma AG: COARTEM®/RIAMET® ist als Tabletten zur oralen Verabreichung erhältlich. Die als Fixkombination entwickelten Tabletten enthalten je 20mg Artemether und 120mg Lumefantrine. Dank der raschen Wirkung und kurzen Plasma-Halbwertzeit von Artemether und dem verschiedenen Wirkungsmechanismus und längerer Plasma-Halbwertzeit von Lumefantrine werden Parasitaemia und Fieber in weniger als zwei Tagen gänzlich eliminiert, bzw. normalisiert. In Multiresistenzgebieten muss die Verabreichung von COARTEM® um einen Tag verlängert werden. COARTEM®/RIAMET® erfüllt alle Kriterien der letzten WHO Richtlinien zur wirkungsvollen Behandlung der akuten, unkomplizierten Plasmodium falciparum Malaria.

Benjamin Spitteler, N.U.S.AG: Es gibt sehr viele Anwendungsbereiche für die Uwemba-Pastilles, Sie sind kein Medikament für eine spezifische Krankheit. Die Pastillen sollen als Prophylaxe für die einheimische Bevölkerung in den Drittweltländern genutzt werden. Eine Monatsration soll dem Preis einer Flasche Bier (ca. Fr. 1.50) vor Ort entsprechen. Unser Ziel ist, es ein Nahrungsergänzungsmittel für die Ausbalancierung des Immunsystems herzustellen. Nur mit einem starken Immunsystem kann sich der Körper selber helfen und Krankheiten entfernen. Wir machen auch keine Heilanpreisungen.

In Afrika ist das hauptsächliche Anwendungsgebiet Malaria, wo wir am meisten Erfahrungen gemacht haben. Die Wirksamkeit der Uwemba-Pastilles soll nun durch eine Studie mit dem Schweizerischen Tropeninstitut wissenschaftlich getestet werden. Eine zweite Erfahrung ist die Anwendung für HIV-positive Menschen in Tansania. Dort wurden die Pastillen hauptsächlich durch Benediktinermissionen für diese Zwecke abgegeben, weil in diesen abgelegen Orten keine andere Medikamente vorhanden sind und die Menschen sonst einfach sterben würden. Die Resultate waren sehr erstaunlich und ermutigend. Menschen, die noch vor wenigen Monaten vor dem Tod waren, arbeiten heute wieder. Es beruht alles auf der Stärkung des Immunsystems.

Marcel Tanner, STI*: Um die Wirksamkeit von Artemisinin-Derivaten über lange Zeit zu erhalten, das heisst der Resistenzentwicklung vorzubeugen, sollen sie in Afrika nur als Kombinationspräparate zur Behandlung und noch nicht zur Prophylaxe verabreicht werden. Die entsprechenden grossen klinischen Versuche zur optimalen Anwendung in hochendemischen Gebieten, vor allem in Afrika, dazu werden derzeit in vielen Ländern unter Aufsicht der WHO geplant und durchgeführt.

Das STI ist bereit, klinische Versuche mit den in Entwicklung stehenden Artemisinin-Derivaten auf der Ebene der internationalen und nationalen ethischen Richlinien für klinische Versuche durchzuführen. Das STI war auf dieser Ebene bei der Entwicklung von Co-artemether (Riamet) beteiligt und wird, sobald die tansanische Forschungsgenehmigung vorliegt, auch die Uwemba-Pastillen in Zusammenarbeit mit den tansanischen Kolleg/innen auf ihre Wirksamkeit bei Kindern testen.

Wo liegen die Probleme und Risiken?

Benjamin Spitteler, N.U.S.AG: Die Behörden sind verunsichert. Ein Diskussionspunkt stellen die Resistenzen da. Man will vermeiden, dass Artemisinin breit gestreut wird und sich so Resistenzen bilden. Wir sind aber der Meinung, dass dies durch den Einsatz ganzer Pflanzen vermieden werden kann, weil in den Uwemba-Pastilles nicht nur ein Einzelwirkstoff vorhanden ist. Wir haben vor mehreren Jahren, also ganz am Anfang unserer Arbeit, eine sehr erstaunliche Erfahrung gemacht, als wir ganz wenige Bonbons herstellen liessen und diese von Benediktinern getestet wurden: Die Bonbons haben zwar nur in sehr hohen Dosen geholfen. Als wir die Pastillen aber später in der Schweiz analysieren liessen, war vom Hauptwirkstoff Artemisinin nichts mehr vorhanden. Die Erkenntnis daraus ist, dass noch andere Stoffe vorhanden sind, die eine Wirkung zeigen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass sich unsere Pastillen durchsetzen werden, denn Afrika braucht jetzt eine Lösung. Zu viele Menschen sterben täglich an Malaria. Sie brauchen sofort Hilfe und nicht erst in mehreren Jahren.

Marcel Tanner, STI: Das Hauptproblem ist es, die beste Kombinationstherapie, die in den peripheren Strukturen der Gesundheitssysteme angewendet werden können, zu entwicklen und einzuführen. Die Anwendung von Einzelsubstanzen, zum Beispiel Artemisinin und deren Derivate allein, beinhaltet das bedeutende Risiko der Resistenzentwicklung oder -förderung. Die Strategie der Anwendung von Einzelsubstanzen vor allem in Afrika entspricht nicht den WHO-Richtlinien und wird auch vom Schweizerischen Tropeninstitut nicht empfohlen.

Die Möglichkeiten der Resistenzentwicklung muss bei der Anwendung von allen Artemisinin-Therapien (Einzelsubstanz oder Kombinationen) sorgfältigst überwacht werden. Dieses Risiko ist gerade bei den Uwemba-Pastillen nicht zu unterschätzen.

Uwemba-Pastillen werden also Monotherapie angewandt (die Pastillen enthalten möglicherweise eine Kombination von Artemisininen, aber keine zweite Anti-Malaria-Substanz) und sind hinsichtlich der Wirksamkeit sowie der voraussichtlichen Einnahmedauer und daraus resultierenden Einnahmedisziplin in bezug auf die mögliche Resistenzentwicklung als sehr problematisch einzustufen: Lange Therapien resultieren oft in schlechter Einnahmedisziplin, speziell bei einem Medikament, welches potenziell rasch wirksam ist und bei dem damit die Symptome rasch abklingen. Oft setzen Mütter das Medikament bei ihren Kindern dann ab und "sparen" Reste der Medikation für einen nächsten Anfall.

Es bleiben viele offene Fragen: die optimale Anwendung der bekannten, geprüften Artemisinin-Derivate vor allem in Afrika, das bessere Verständnis (Mechanismus und Dynamik) der Resistenzentwicklung, das Etablieren der Methoden, die es erlauben, resistente Parasiten rasch und kostengünstig zu erfassen, um damit die Therapien anzupassen, sowie die weiteren Abklärungen / Studien zu neuen Artemisinin-Derivaten und Behandlungskombinationen.

* Rainier E. Dierdorf ist Leiter Forschung & Entwicklung bei der Weleda AG, Arlesheim. Daniel Marthe ist International Product Manager für Tropical Medicines bei der Novartis Pharma AG, Basel. Corinne Peter ist Product Manager Antimalaria bei der Mepha AG, Aesch. Benjamin Spitteler ist Geschäftsführer der N.U.S. AG in Bennwil. Marcel Tanner ist Direktor des Schweizeischen Tropeninstituts STI, Basel. Zusammengestellt von Thomas Schwarz, Medicus Mundi Schweiz.