Kirchliche Gesundheitsdienste im Gegenwind

Im Kontext des neuen "Sector Wide Approach"

Von Rudolf Fischer

Gesundheitssysteme in den armen Ländern Afrikas müssen noch über Jahrzehnte hinaus finanziell und technisch von aussen unterstützt werden, wenn die Weltgemeinschaft sicherstellen will, dass auch die ärmsten Menschen Zugang zu einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung erhalten. Durch das neue Instrument der Gesundheitssektorprogramme (Sector Wide Approach SWAP) ist erstmals die Unterstützung der staatlichen Teile der öffentlichen Gesundheitsversorgung in diesen Ländern auf eine etwas längerfristigere und für die Empfängerseite berechenbarere Basis gestellt worden, auch wenn noch ungewiss ist, ob dieser Ansatz in der Lage ist, die deklarierten Qualitäts- und Wirkungsziele für die Gesundheitsversorgung zu erreichen. Der gemeinnützige, kirchlich getragene Teil der Gesundheitsversorgung dagegen, der im allgemeinen leistungsfähiger ist und kostengünstiger arbeitet, wird durch diese Entwicklungen marginalisiert. Es besteht die Gefahr, dass über Jahrzehnte aufgebaute Institutionen und ihr Kapital an medizinischem und Organisationswissen für die Gesundheitsversorgung verloren gehen.

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Zur Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder zählen 48 Staaten dieser Erde mit zusammen 614 Millionen Einwohnern. Etwa zwei Drittel dieser Menschen müssen mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 2$ pro Tag auskommen, ein Drittel gar mit weniger als 1$. Die meisten dieser Länder liegen in Afrika südlich der Sahara. Sie gehören im allgemeinen zu den Verlierern der wirtschaftlichen Globalisierung, da sie nicht in der Lage sind, mit der weltwirtschaftlichen Öffnung verbundene Chancen wahrzunehmen. Die Kluft zwischen diesen Ländern und den reichen Ländern des Nordens sowie erfolgreicheren Entwicklungs- und Schwellenländern wird sich weiter vertiefen. Als erschwerender Faktor kommt die HIV-AIDS-Pandemie hinzu, von welcher wiederum das südliche Afrika weltweit am stärksten betroffen ist. Durch den vorhersehbaren Ausfall eines grossen Teils der erwerbsfähigen Bevölkerung werden die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven zusätzlich verschlechtert. Die Pflege der AIDS-Kranken sowie die Betreuung und soziale Integration der Millionen von zu erwartenden AIDS-Waisen werden diese Gesellschaften hoffnungslos überfordern.

Die Mittel, welche den am wenigsten entwickelten Ländern für die Bewältigung dieser Aufgaben zur Verfügung stehen, sind derart gering, dass man sich wundern darf, dass überhaupt noch etwas passiert in der Gesundheitsversorgung. Als Beispiel möge Tansania dienen, wo der Staat derzeit etwas 5 Schweizer Franken pro Kopf und Jahr für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auszugeben in der Lage ist. Man geht davon aus, dass für eine minimale korrekte Gesundheitsversorgung etwa 15 Franken pro Kopf und Jahr notwendig wären, und ob das dann auch wirklich reichen würde, ist eine andere Frage.

Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, ein Land wie Tansania könnte in absehbarer Zeit in der Lage sein, für eine korrekte medizinische Grundversorgung seiner Bevölkerung aus eigener Kraft aufzukommen. Die internationale Gebergemeinschaft, welche mit bilateralen oder multilateralen staatlichen Finanzmitteln operiert, hat diese Einsicht schon vor einiger Zeit vollzogen und sich darauf eingerichtet, die Gesundheitssysteme der ärmsten Länder mittels langfristiger internationaler Umverteilungsmechanismen am Leben zu erhalten. Das Ziel der Entwicklung der Gesundheitssysteme vor Ort in Afrika selbst wird weiterhin darin bestehen, Wirksamkeit und Effizienz des Mitteleinsatzes zu optimieren und eine möglichst gute Mobilisierung lokaler Ressourcen sicherzustellen, ohne allerdings dadurch wirtschaftlich schwache Bevölkerungsgruppen vom Zugang zur medizinischen Grundversorgung auszuschliessen.

Abkehr von der Projektfinanzierung

In der Vergangenheit finanzierten die internationalen Geber wie die WHO oder die Weltbank Projekte zur Unterstützung lokaler Gesundheitsdienste in Afrika oder führten derartige Projekte selbst durch. Ein bekannter Typ solcher Vorhaben waren die sogenannten "vertikalen" Projekte, wo - im allgemeinen mit grossem Aufwand - eine einzelne Komponente oder gesundheitsdienstliche Massnahme unterstützt wurde, beispielsweise ein Impfprogramm oder die Bekämpfung der Tuberkulose. Von dieser Art der Unterstützung hat man inzwischen weitgehend Abstand genommen, da sich gezeigt, hat, dass diese Aktionen zwar häufig wirksam waren, aber viel zu viel knappe Ressourcen verbrauchten und wenig oder nichts zur Stärkung des öffentlichen Gesundheitssystems beitrugen. Diese Aktivitäten sind inzwischen weitgehend in die normalen Funktionen der Basis-Gesundheitsversorgung integriert worden.

Eine andere Art typischer Projekte bestand darin, einzelne geographisch definierte Regionen oder gar einzelne Institutionen des Gesundheitswesens bei ihrer Entwicklung zu unterstützen. Solche Vorhaben waren in allgemeinen recht erfolgreich, nicht zuletzt deshalb, weil ein beträchtlicher Mitteleinsatz möglich war und weil kompetente private Organisationen aus dem Norden mit deren Durchführung beauftragt waren oder den Auftrag hatten, diese Projekte fachlich und/oder managementmässig zu betreuen. Dieser Ansatz hatte indessen den klaren Nachteil, dass dabei Inseln mit relativ hohen medizinischen Versorgungsstandards entstanden, während ringsherum weiter Spitäler zerfielen und die Medikamentenschränke der dörflichen Gesundheitsposten leer waren und leer blieben.

Der neue "state of the art" bei der Unterstützung der Entwicklung afrikanischer Gesundheitssysteme durch internationale und bilaterale (staatliche) Geber will von Projekten nichts mehr wissen und setzt auf den "Sector Wide Approach" (SWAP). Dieser besteht darin, zusammen mit der betreffenden Regierung flächendeckende Entwicklungsziele und Massnahmen für das nationale Gesundheitswesen zu formulieren. Die in einem bestimmten Land vertretenen Geber, welche am Gesundheitssektor interessiert sind, führen die Verhandlungen gemeinsam und teilen sich nachher die Finanzierung dieses Gesamtpakets auf. Auf der Empfängerseite sind in den meisten Fällen Veränderungen im Gesundheitswesen Voraussetzung für eine derartige Unterstützung mit internationalen Mitteln. Diese sind unter dem Begriff "Health Sector Reform" bekannt. Dabei handelt es sich um ein von der Weltbank inspiriertes Bündel von Massnahmen, welches darauf abzielt, durch geeignete institutionelle Umbauten eine bessere Ressourcenallokation und -produktivität im Gesundheitssektor zu erreichen.

"Sector Wide Approach": die privaten gemeinnützigen Anbieter haben das Nachsehen

Der Ansatz des SWAP ist zweifellos theoretisch attraktiv und zunächst aufgrund der Begrenzungen der früheren Unterstützungsstrategien plausibel. Das Problem besteht nun allerdings unserer Erfahrung nach darin, dass nationale Gesundheitssysteme in den ärmsten Ländern Afrikas in aller Regel nicht in der Lage sind, solche Programme zu absorbieren. Diese Sicht scheint im übrigen auch durch erste Auswertungen der Gesundheitssektorreform in Zambia, einem der Pionierländer in dieser Sache, bestätigt zu werden. Im schlechten Fall resultiert also nicht eine flächendeckende Verbesserung der medizinischen Versorgung, sondern eine flächendeckend suboptimale Nutzung der von aussen zur Verfügung gestellten Ressourcen. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die internationalen und bilateralen Geber den Aufwand an externer Ausbildung, Beratung und Überwachung unterschätzen, der nötig wäre, um einen wirkungsvollen und effizienten Einsatz dieser Mittel sicherzustellen.

Ein weiterer Nachteil des SWAP-Ansatzes besteht darin, dass er in der Regel staatliche Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen bevorzugt. Traditionell werden aber in den armen Ländern Afrikas südlich der Sahara mit Ausnahme von Moçambique und Angola bis zur Hälfte aller medizinischen Leistungen in der Grundversorgung von kirchlichen Anbietern erbracht; vor allem in vielen abgelegenen Gebieten sind die kirchlichen Gesundheitsposten und Spitäler die einzigen, an welche sich die Bevölkerung bei gesundheitlichen Problemen wenden kann, so zum Beispiel in Lesotho. In manchen Ländern wird dieser Beitrag zur öffentlichen Gesundheitsversorgung in irgendeiner Weise honoriert, etwa so, dass die betreffenden Institutionen vom Staat Subventionen erhalten, in neuster Zeit manchmal auch einen Leistungsauftrag. Machmal sind sie in das öffentliche Gesundheitswesen auch formell integriert, indem sie z.B. zum Distriktspital erklärt worden sind ("Designated District Hospital" im Falle Tansanias).

Die Einführung von "Sector Wide Approaches" hat häufig eine Reduktion der staatlichen Unterstützung für kirchliche Gesundheitsdienste zur Folge, indem etwa von den ausländischen Gebern in mechanistischer Weise vorgeschrieben wird, dass pro Distrikt nur noch ein Spital auf öffentliche Gelder Anspruch haben kann - ganz unabhängig davon, wie gross der Distrikt ist und welche Probleme dadurch für die Bevölkerung entstehen. In solchen Fällen müssen meistens kirchliche Spitäler über die Klinge springen, obwohl sie in aller Regel die besseren Leistungen erbringen als die staatlichen Institutionen und kostengünstiger arbeiten (vgl. dazu etwa die kürzliche vergleichende Studie über kirchliche und staatliche Leistungserbringer in Zimbabwe**).

Unglücklicherweise trifft die kirchlichen Gesundheitsdienstleister zur Zeit auch eine weitere Entwicklung, welche ihre Finanzierungsbasis schmälert. Die religiösen Orden, die während der Kolonialzeit die kirchlichen Gesundheitsversorgungen aufbauten und sie dann an die einheimischen Kirchen übergaben, haben keinen Nachwuchs mehr. Sie sind als Organisationen je länger desto weniger in der Lage, die einstmals von ihnen gegründeten Einrichtungen der Gesundheitsversorgung in Afrika finanziell zu unterstützen.

Ein Beispiel: Dareda Hospital im Norden Tansanias

Das Dareda Hospital liegt am Rande des Rift Valley, knapp 200 km südwestlich von Arusha, dicht an der Grenze zwischen den Distrikten Babati und Hanang. Das Gebiet ist fast rein ländlich und durch eine prekäre Kleinbauern-Subsistenzwirtschaft geprägt. Ein Teil der Bevölkerung hält auch Vieh und führt einen halbnomadischen Lebensstil.

Das Spital wurde 1948 von einem Missionsorden gegründet und über die Jahre zu einem Grundversorgungsspital mit 250 Betten ausgebaut. 1959 kam eine Krankenpflegeschule dazu, die diplomierte Krankenschwestern und Hebammen ausbildet und dabei sehr erfolgreich ist. 1988 übergab der ausländische Missionsorden das Spital an die katholische Diözese von Mbulu, welche heute der formelle Eigentümer des Spitals ist. Das Spital wird ausschliesslich von einheimischem Personal betrieben und funktioniert sehr gut. Neben der Grundversorgung auf allen Gebieten der Medizin bietet es einige chirurgische Spezialitäten an. Es geniesst über sein Einzugsgebiet hinaus einen sehr guten Ruf.

Von 1971 an hatte Dareda die Funktion eines offiziellen Distriktspitals für den Babati-Distrikt. Mit diesem öffentlichen Auftrag ist eine Subvention durch das Gesundheitsministerium verbunden, welche über 40% der Einnahmen des Spitals ausmacht. Fast 50% der Einnahmen stammen aus den Kostenbeiträgen der Patienten, der Rest aus verschiedenen anderen Quellen. Nachdem das Gesundheitszentrum im Distrikthauptort Babati, 35 km von Dareda entfernt, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in ein Spital ausgebaut worden war, verlor Dareda 1991 seinen formellen öffentlichen Versorgungsauftrag und die Regierungssubvention ging fortan an das staatliche Distriktspital in Babati. Wie oftmals üblich in Afrika ist das staatliche Distriktspital nicht in der Lage, seinem Versorgungsauftrag nachzukommen: Es fehlt an finanziellen Mitteln, Gebäuden, Einrichtungen und medizinischem Fachwissen sowie an der Fähigkeit, einen solchen Betrieb zu führen. In Babati können nur sehr einfache chirurgische Eingriffe vorgenommen werden, Röntgengerät und Ultraschall gibt es nicht, das Labor ist sehr bescheiden. Es überrascht unter diesen Umständen nicht, dass sich die Arbeitslast des Dareda-Spitals durch den Ausbau in Babati nicht verringerte. Mit mehr als 100% Bettenauslastung ist es nach wie vor bis über seine Kapazitätsgrenzen hinaus belegt.

Zwar ging Dareda 1991 der Distriktstatus für Babati und die damit verbundene Subvention verloren, dagegen erhielt es nun einen Versorgungsauftrag für den Distrikt Hanang. Inzwischen wird von der Regierung jedoch auch im Hauptort dieses Distrikts, Katesh, 48 km von Dareda entfernt, ein Spital gebaut. Mitte 2000 wurde dem Bischof von Mbulu mitgeteilt, dass dieses Spital per 1. Juli 2001 den Betrieb aufnehme und damit Dareda auf dieses Datum seinen Distriktstatus für Hanang verliere. Dies bedeutet, dass dem Spital der Regierungssubvention von ca. 80 Millionen tansanischen Schillings pro Jahr (170'000 Schweizer Franken) verloren gehen werden und es damit in seiner Existenz akut bedroht ist. Da nicht zu erwarten ist, dass das neue Spital in Katesh in der Lage sein wird, die Patienten aus dem Hanang-Distrikt angemessen zu versorgen, wird Dareda weiterhin die Hauptlast der medizinischen Versorgung tragen müssen, ohne dafür vom Staat angemessen entschädigt zu werden. Ganz abgesehen davon wird die im nordöstlichen Teil des Distrikts lebende Bevölkerung ohnehin aus Distanzgründen weiterhin Dareda aufsuchen.

Es besteht also die Gefahr, dass das einzige gut ausgerüstete und korrekt funktionierende Spital dieser Region mit 400'000 Einwohnern sein Leistungsangebot stark einschränken oder gar den Betrieb völlig einstellen muss. Mittelfristig sind die Überlebensperspektiven für Dareda allerdings intakt, da im Rahmen der laufenden Gesundheitssektorreform Kompetenz und Mittel für die Gesundheitsversorgung an die Distrikte übertragen werden und dann die Verteilung der Mittel auf dieser Ebene ausgehandelt wird. Da dies unter den Augen der lokalen Bevölkerung geschehen wird, darf man davon ausgehen, dass diejenigen Anbieter, die aufgrund langjähriger guter Leistungen das Vertrauen der Bevölkerung geniessen, nicht leer ausgehen werden. Kurzfristig jedoch, bis sich diese neuen Mechanismen eingespielt haben, wird es für Dareda finanziell sehr eng werden.

Der Bischof von Mbulu hat SolidarMed gebeten, ihn in dieser Situation zu beraten und zu unterstützen. Im Rahmen einer Mission vor Ort im November 2000 haben Fachleute von SolidarMed zusammen mit den Führungspersonen des Spitals und den Verantwortlichen der Diözese die Lage analysiert und Handlungsperspektiven entwickelt. Diese sehen unter anderem vor, einerseits durch Sofortmassnahmen Kosten zu sparen und anderseits das Einkommen des Spitals mittels zusätzlicher operationeller Leistungen zu erhöhen. Dafür werden jedoch gewisse Investitionen in Geräte und Ausbildung erforderlich sein, und auch unter den optimistischsten Annahmen wird über eine Zeit von eins bis zwei Jahren der Ausfall der Regierungssubvention zumindest teilweise durch Transfers aus dem Ausland kompensiert werden müssen.

*Rudolf Fischer ist Geschäftsführer von SolidarMed. Kontakt: solidarmed@compuserve.com; www.solidarmed.ch

**Anne Mills et al., Improving the efficiency of district hospitals: is contracting an option?, in: Tropical Medicine and International Health, Vol. 2, No. 2, February 1997