Afrika: Sie wollen verhüten, aber…

Von Felix Küchler

Moderne Kontrazeptiva werden oft nicht verstanden und sind kulturell und religiös schlecht akzeptiert. Ein Bildungsprojekt in West-Afrika weist neue Wege.

Lesezeit 3 min.

Die Familienplanung in den ärmsten Ländern kommt nicht vom Fleck. Zahlen der "UN Population Division" sprechen eine klare Sprache: Ein Viertel aller Frauen im gebärfähigen Alter möchte keine Kinder mehr oder erst später wieder ein Kind, wendet aber keine Verhütungsmethode an (1).

Gefährliche Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot

Seit gut 30 Jahren werden "moderne Kontrazeptiva" oft gratis in den staatlichen Gesundheitszentren abgegeben. Pille, Dreimonatsspritze und Spirale, neuerdings auch Hormon-Implantate, sind im Angebot. Während in den entwickelteren Regionen der Welt die Hälfte bis zu Dreiviertel der Frauen "modern" verhüten, verharrt die Prävalenz im mittleren und westlichen Afrika unter 10%. Die seltenen Anwenderinnen gehören der urbanen Oberschicht an.

Familienplanung: Entwicklung der Prävalenz und der ungedeckten Nachfrage (1)

Prävalenz alle modernen Familienplanungs-Methoden


1990 2000 2009
West-Afrika 3.5 % 7.9 % 8.7 %
Mittleres Afrika 4.3 % 5.4 % 6.6 %
Ost-Afrika 8.3 % 16.1 % 22.9 %
Latein-Amerika und Karibik 54 % 64 % 67 %
Asien
52 % 59 % 60 %

Ungedeckte Nachfrage nach Familienplanung ("Unmet need")

West-Afrika 23.8 % 22.3 % 24.2 %
Mittleres Afrika 21.6 % 21.7 % 22.6 %
Ost-Afrika 30.9 % 27.5 % 27.6 %
Latein-Amerika und Karibik 16 % 10 % 10 %
Asien 11 % 10 % 9 %

Der ländlichen Bevölkerung ist der Zugang zu Verhütungsmitteln erschwert. Das nächste Gesundheitszentrum ist weit entfernt, und manchmal ist es unsicher ob die Kontrazeptiva gerade verfügbar sind. Dazu kommen Schwierigkeiten bei der Anwendung. Di Pille müsste z.B. vor dem Mann versteckt und doch täglich eingenommen werden. Wenn eine Spirale bei akuter Infektion sofort entfernt werden muss, kann es teuer werden oder sogar tödlich enden. In verschiedenen kulturell-religiösen Kontexten sind moderne Kontrazeptiva nicht oder schlecht akzeptiert. Familienplanung wird mit Prostitution (grössere sexuelle Freizügigkeit, wenn kein Konzeptionsrisiko besteht) oder Unreinheit (Schmierblutungen) assoziiert.

Die modernen Methoden stagnieren. Gleichzeitig ist eine weit verbreitete traditionelle Methode am Verschwinden: Die physische Trennung des Ehepaares während bis zu 2 Jahren nach der Geburt. Die Frau verbrachte die ganze Stillzeit in ihrer Herkunftsfamilie. Gestützt wurde dies durch die religionsrechtlich geordnete Polygamie.

Die Konsequenzen der mangelnden Fertilitäts-Kontrolle sind gravierend. Die Anzahl Abtreibungen in Afrika hat von 5.6 Millionen (2003) auf 6.4 Millionen (2008) zugenommen (2). Interruptiones - da meist illegal - finden fast immer (97%) unter unsicheren Bedingungen statt und enden für 29'000 Frauen pro Jahr tödlich. Zu nahe Geburtsabstände führen - via Mangelernährung - zu hoher Kindersterblichkeit. Bei grosser Parität gibt es mehr Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen.

Die Basis für Gesundheit – Wasser, fruchtbarer Boden, Holz als Energieträger – leidet unter der Übernutzung durch die zunehmende Bevölkerung. Demographische Entwicklungen wie in Niger (+ 3.3 % pro Jahr) oder Burkina Faso (+ 2,9 % pro Jahr) bedeuten eine Verdoppelung der Bevölkerung innert 20 bzw. 25 Jahren.

Empowerment zur Selbstkontrolle der Fertilität

Im Februar 2012 haben wir in Gambia die ersten 6 Frauen ausgebildet. Es sind verheiratete Haus- und Marktfrauen mit wenig Schulbildung. Auf Anatomie- und Physiologie-Unterricht wurde verzichtet, ebenso auf das Messen der morgendlichen Basaltemperatur. Für analphabetische Frauen kommt eine Aufzeichnung des Zyklus nicht in Frage. Der Eckpfeiler ist die Selbstbeobachtung des Zervixschleimes in der Vulva. Zusammen mit einem Grundverständnis des Zyklus ermöglicht dies den Frauen, die fruchtbaren Tage zuverlässig zu erkennen. Zur sorgfältigen Ausbildung und Begleitung gehört die Kommunikationsfertigkeit, vom Partner entweder Abstinenz oder die Benutzung eines Kondoms zu verlangen. Weiter sind genaue Kenntnisse über die Still-Amenorrhöe wichtig.

Es geht hier nicht um maximal sichere Verhütung sondern vor allem um ein Verlängern des Geburtenabstandes. Entsprechend geben wir der Einfachheit und Verständlichkeit der Ausbildung höchste Priorität. Daraus resultiert eine grosse sozio-kulturelle Zugänglichkeit. Für die Frauen entstehen keine direkten oder Opportunitäts-Kosten. Die natürliche Methode ist frei von Nebenwirkungen und jederzeit absetzbar.

Wie funktioniert mein Körper? Angepasste Antworten auf diese Fragen zu erhalten betrachten wir als grundlegendes Menschenrecht. Dieses Empowerment soll sich möglichst unabhängig von Projektgeldern verbreiten. Deshalb erhalten die Auszubildenden keinerlei Entgelt, weder "per diem" noch Transportentschädigung. Die wirklich interessierten und motivierten Frauen kommen von selbst. Im November 2012, wollten 2 Frauengruppen ausgebildet werden und anfangs 2013 gibt es bereits eine Warteliste. Mehr und mehr übernehmen die Gambierinnen Ausbildung und Nachbetreuung.

Wissenschaftlich stützt sich unser Vorgehen auf neuere Erkenntnisse und Erfahrungen. Laut einer breit angelegten WHO-Studie in verschiedenen Kulturen sind nach 3-monatiger Instruktion fast alle (94%) Frauen fähig die Veränderungen des Zervixschleims zu erkennen (3).  Die Sicherheit von sympto-thermalen Methoden (Schleimbeobachtung und Messen der Basaltemperatur) liegt im selben Bereich wie bei der Pille (4)(5). In Indien wurden über Jahre viele analphabetische Frauen in einer reinen Mukus-Methode instruiert. Während einer 10-monatigen Studienperiode konnte bei über 3000 Frauen ein Pearl Index von 2 gemessen werden (6).

*Felix Küchler, Dr. med., MSc Health Promotion. 10 Jahre Basisgesundheitsarbeit in West-Afrika. Kurskoordinator am Schweizerischen Tropeninstitut. Jetzt Gesundheitsexperte der Glückskette und selbständiger Berater.

Literatur

    1. United Nations. Department of Economic and Social Affairs, Population Division, 2011. World Contraceptive Use 2010 (POP/DB/CP/Rev2010).
    2. WHO, 2011. Unsafe Abortion: Global and Regional Estimates of the Incidence and Associated Mortality in 2008.
    3. WHO 1981. Fertility and Sterility 36:152-158.
    4. Frank-Hermann P et al, 2007. Human Reproduction 22:1310-9.
    5. Ryder B, Campbell H, 1995. Lancet 346: 233-4.
    6. Doreiraj K. 1991. Am J Obstet Gynecol 165:2066-7