Selbsthilfegruppen verwalten Gesundheitsposten

Von Claude Ribaux

Verarmung ist in Bangladesh weitverbreitet. Die Gründe dafür sind vielfältig: Neben den generellen strukturellen Bedingungen stellen unvorhersehbare Krisen wie Naturkatastrophen, Mangel an sozialer Sicherheit oder Erkrankungen, die zu Erwerbsausfall und Behandlungskosten führen, den wichtigsten Faktor für die Verarmung unterbemittelter Haushalte dar. Ein Programm des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) zeigt, dass sich lokale, eigenständige Organisationen motivieren lassen, ihren Gesundheitszustand - und damit ihre gesamte Lebenssituation - zu verbessern.

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Dienstleistungen im Gesundheitsbereich sind im ländlichen Bangladesh zwar mannigfaltig vorhanden, qualitativ jedoch oft ungenügend. Den Patient/innen stehen mindestens zehn Gruppen von Anbieter/innen zur Verfügung: Traditionelle Phytomediziner, traditionelle Hebammen, Geistheiler, staatliche Paramediziner, Angestellte der staatlichen Dispensarien, Apotheker, selbsternannte Dorfärzte (quacks), Vertreter/innen von auf Familienplanung spezialisierten Nichtregierungsoganisationen (NGOs), Vertreter/innen von NGOs mit integriertem Entwicklungsansatz, Familienplanungsexperten des Staates, Impfexperten des offiziellen Gesundheitsministeriums etc. Sie alle haben sich dem Gemeinwohl verschrieben, inoffiziell verfolgen sie jedoch oftmals die Strategie der eigenen Bereicherung. Darunter leidet die Qualität der angebotenen Dienstleistungen. Oft muss die Bevölkerung für inadäquate oder teilweise schädliche Massnahmen hohe Beträge aus mühselig Erspartem aufwerfen - die Gegenleistungen stehen in keinem sinnvollen Verhältnis zum Preis. Gegenwärtig versuchen NGOs vorwiegend im städtischen Bereich Qualitätsdienste aufzubauen, die durch die Patient/innen rückfinanziert werden sollen.

Gerade im Gesundheitsbereich liesse sich mit einfachen Mitteln viel erreichen: Über 50 Prozent aller Krankheiten stehen in Zusammenhang mit Diarrhöe. Durch angemessene Hygiene und minimale Infrastruktur für Trinkwasser und Latrinen könnten sie verhindert oder stark reduziert werden. Wie Erfahrungen des Schweizerischen Roten Kreuzes zeigen, können dank Gesundheitserziehung gesundheitsbezogene Kosten ärmerer Haushalte um etwa 50 Prozent reduziert werden. Einer kleinen Investition von ca. 400 Taka (SFr. 15.-) für Latrinen und Handpumpen stehen schon im ersten Jahr nach der Installation Ersparnisse im Umfang von 750 Taka (SFr. 27.-) gegenüber.

Folglich drängt sich Prävention in Form von Gesundheits-, Hygieneerziehung und Impfprogrammen auf. Ihre Wirkung kann sie hauptsächlich innerhalb von Familien und sekundären Sozialstrukturen entfalten, wobei die aktive Mithilfe der Frauen zentral ist. Von ihnen hängt im wesentlichen der Gesundheitszustand der ganzen Familie ab.

SRK animiert Selbsthilfegruppen...

Aufgrund der oben beschriebenen Situation hat das SRK 1993 ein Programm konzipiert, das sich direkt an ländliche Gemeinschaften wendet. Sie sollen mittels eines Selbsthilfeprozesses lernen, wie ihr Gesundheitszustand verbessert werden kann, ohne in einer ersten Phase materielle Güter oder kurative Dienstleistungen zu erhalten: Die Selbsthilfegruppen sollen sich bei staatlichen Gesundheitsdiensten ihren Anteil selber holen.

Vor der konkreten Umsetzung ergaben sich Schwierigkeiten. Die Geldgeber mussten davon überzeugt werden, dass Programme ohne Güterverteilung selbst in einem Kontext höchster Armut sinnvoll oder gar notwendig sein können. Die Suche einer Partnerorganisation mit der operationellen Kapazität, ein solches Programm durchzuführen, erwies sich als äusserst anspruchsvoll. Es gab kaum Personal, das sich in der systematischen Umsetzung der Idee der Selbsthilfeförderung auskannte. Zudem erschütterte 1994 eine Anti-NGO-Bewegung das Selbstbewusstsein aufklärerisch orientierter NGOs in Bangladesh.

Das Programm zur Förderung der Selbsthilfe wurde schliesslich Schritt für Schritt eingeführt: Das Personal wurde während eines intensiven, monatelang dauernden Prozesses ausgebildet und umgeschult. Die besten Lerneffekte konnten vor allem mit Rollenspielen und konkreten, dem Kontext des Pojektgebiets ähnlichen Aufgabestellungen erzielt werden. Schliesslich wurden erste Kontakte zur Zielbevölkerung in drei Dorfgruppen (Unions) des Chokoria Thanas aufgenommen.

Wichtig war am Anfang, in der Bevölkerung Schlüsselpersonen zu identifizieren, die Verbindungen zu grösseren Personengruppen ermöglichten. So entstanden mit der Zeit Kontakte zwischen Projektpersonal und ausgewählten Personen aus der Zielbevölkerung, allerdings ausschliesslich Männern. Die Frauen blieben in dieser und den folgenden Phasen noch unsichtbar. Einige der ausgewählten Personen konnten auch über bereits bestehende Organisationen in der Bevölkerung Auskunft geben, worauf diese Gruppen kontaktiert wurden. Eine erste Bestandesaufnahme ergab eine Liste von über 100 existierenden formalisierten Gruppen. Dabei handelte es sich fast ausschliesslich um Männergruppen. Unter Frauen identifizierte das Projektteam schwach formalisierte Spargruppen mit bis zu sechs Mitgliedern, die meist nach etwa einem Jahr wieder zerfielen - nicht zuletzt, weil die Finanzen Anlass zu Streitigkeiten boten.

Nach sechs Monaten Projektdauer waren die Beziehungen zu einigen der Gruppen bereits derart gefestigt, dass sogenannte People's Participatory Planning-Sessions (PPP) eingeleitet werden konnten. Die Durchführung von PPPs erwies sich als eigentliches Herzstück des Programms. Vertreter/innen der lokalen Organisationen - von nun an Selbsthilfegruppe genannt - nahmen mit ziemlich grossem Interesse an Planungsseminaren teil, die in der Nähe des Wohnorts der Mitglieder der Selbsthilfegruppen durchgeführt wurden. Die Beteiligung hing von der Stärke der jeweiligen Organisation, der Klarheit der Zielsetzungen und dem Zeitpunkt der Treffen ab.

Frauen beteiligten sich anfangs kaum an diesen Prozessen. Zu ihrer besseren Integration wurde das Konzept geändert: Statt ausschliesslich mit relativ formalisierten Gruppen zu arbeiten, konnten Frauen fortan spontan Gruppen von etwa 20 Personen (Freundinnen oder Bekannte) bilden. Aufgrund dieses Vorgehens entstanden Dutzende von Frauengruppen, die sich einerseits nach verwandtschaftlichen Kriterien, andererseits nach geographischer Nähe strukturierten und organisierten.

...zu eigenständiger Gesundheitsarbeit

Zusammenfassend kann nach eineinhalb Jahren folgendes gesagt werden: Lokale, eigenständige Organisationen lassen sich motivieren, ihre Gesundheitssituation zu verbessern. Bisher haben die Selbsthilfegruppen über 500 männliche und weibliche Freiwillige eruiert, die eine Ausbildung zu Gesundheitsfragen absolvierten. Entscheidend war ihre Motivation, denn sie erhielten weder Material noch eine Entschädigung. Diese Freiwilligen geben nun ihr Wissen über die Prävention von Krankheiten in ihren jeweiligen Selbsthilfegruppen und Gemeinschaften weiter.
Die entstandene Dynamik äussert sich auch in folgenden Aktivitäten:

  • Bau von Dorfgesundheitsposten durch fünf Selbsthilfegruppen, die auch Land, Gebäude und Möbel zur Verfügung gestellt und Geld für den Betrieb der Posten gesammelt haben
  • In Eigenregie: Durchführung von Dorfstudien zur Bevölkerungsstatistik (in Bangladesh inexistent) und über vorhandene Ressourcen im Gesundheitsbereich
  • Wachstumskarten mit Unterstützung des Projektteams
  • Das Gesundheitsministerium hat Waagen zur Wachstumsbegleitung von Kindern unter fünf Jahren zur Verfügung gestellt. Die monatlich durchgeführte Wachstumsbegleitung wird ergänzt durch Ernährungsberatung für Mütter unterernährter Kinder.
  • Verhandlungen des Projektteams mit Regierungsstellen, so dass aus jeder Selbsthilfegruppe ein/e Freiwillige/r für ein einmonatiges Training zugelassen ist (Primary Health Care Provider). Freiwillige sind verpflichtet, ihre „medizinischen“ Kenntnisse den Mitgliedern des Gesundheitsposten gratis zur Verfügung zu stellen.
  • Moskitonetzimprägnierung in einem Gesundheitsposten durch die Regierung
    Diese Beispiele illustrieren, bis zu welchem Grad die Idee eines von der Bevölkerung selbst verwalteten Gesundheitspostens bereits um sich gegriffen hat. In naher Zukunft werden die Gebäude vom Gesundheitsministerium als Anlaufstelle für Impfkampagnen, mobile Kliniktätigkeiten etc. benutzt. - Die Selbsthilfeorganisationen haben sich bereits zu einer Föderation zusammengeschlossen und Vertreter/innen für den Einsitz im Steuerungskomitee des Projekts gewählt.

*Claude Ribaux ist Programmverantwortlicher des SRK

Literatur:

Abbas Bhuiya: Health Knowledge and Bahaviour in Five Unions of Chakaria. Dhaka, 1996.

Peter Eppler et. al.: A Process-oriented Approach to the establishment of Community-based Village Health Posts. Dhaka, 1997.