Als Arzt in Zimbabwe mitverfolgt

"Kairo" aus der Froschperspektive

Von Franz Küng

Als in Kairo 1994 die grosse Bevölkerungskonferenz stattfand, war ich seit einigen Monaten in Zimbabwe als Arzt in der Entwicklungszusammenarbeit am St. Theresa's Hospital im Einsatz. Was in Kairo besprochen und beschlossen wurde interessierte mich damals sehr, denn in Zimbabwe betrug das jährliche Bevölkerungswachstum 3.0 % bei einer Fertilitätsrate von 5.3 %. Die Auswirkungen der Kairoer Konferenz konnte ich während zweier Jahre gewissermassen aus der Froschperspektive beobachten.

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Beim St. Theresa's Hospital handelt es sich um ein Missionsspital im ländlichen Zimbabwe, im Chirumanzu Distrikt, einem ehemaligen Reservat für Schwarze. Meine Tätigkeit umfasste zusammen mit einem zweiten Arzt die medizinische Betreuung dieses 188-Betten-Spitals. Der Schwerpunkt der Tätigkeit war kurative Medizin in allen Bereichen. Durch die relativ enge und gute Zusammenarbeit mit der zimbabwischen Regierung bestanden verschiedene Anknüpfungspunkte an das Public Health System des Landes, und wir waren über staatliche Gesundheitspolitik und -projekte durchaus informiert, auch wenn wir sie nicht immer nachvollziehen konnten.

Zu jenem Zeitpunkt war die Geburtenkontrolle bereits ein Schwerpunkt der zimbabwischen Health Policy und wurde von den internationalen Sponsoren grosszügig unterstützt. Dies zeigte sich zum Beispiel daran, dass an allen Spitälern, aber auch an allen andern Institutionen des Primary Health Care Systems, Kontrazeptiva jederzeit in genügenden Mengen vorhanden waren. Dabei fanden Kondome als Kontrazeptiva kaum Beachtung, währenddem sie in der AIDS-Prävention zunehmend akzeptiert wurden. Verhütung - wenn überhaupt - war immer eine Angelegenheit der Frauen. Die Dreimonatsspritze stiess bei den Frauen auf hohe Akzeptanz, auch wenn dies von einigen Teilnehmer(innen) der Kairoer Konferenz nicht gerne gehört wurde.

In Zimbabwe existiert ein dichtes Netz von Family Planning Officers, Frauen, die von Haus zu Haus ziehen, um die Familienplanung zu propagieren und auch Kontrazeptiva zu verteilen. Es handelt sich um ein vertikal organisiertes Projekt mit allen Vor- und Nachteilen: gute Organisation, überschaubar, aber wenig vernetzt. Ich wusste lange Zeit nichts davon und hätte vielleicht gar nie etwas darüber erfahren, wenn nicht die lokale Beauftragte ab und zu vom Fahrrad gestürzt und deswegen zu uns ins Spital gekommen wäre. Man spürte also sehr wohl etwas von Familienplanung, und die Zahlen, welche Zimbabwe diesbezüglich lieferte, waren durchaus sehenswert mit einer Abnahme der Fertilitätsrate um 1% innert einer Dekade (2).

Zu erwähnen ist auch, dass die Familienplanung an unserem Spital auf keinen Widerstand gestossen ist, obwohl es sich um ein katholisches Missionsspital handelt. In dieser Beziehung gehorchten die Ordensschwestern wohl mehr der offensichtlichen Not als der Stimme aus dem Vatikan, der ja in Kairo zusammen mit den muslimischen Mullahs zu den Bremsern gehörte.

Von Reproductive Health kam man damals in Zimbabwe unweigerlich auf die allgegenwärtigen AIDS-Pandemie zu sprechen, welche apokalyptische Ausmasse angenommen hatte. Es wurde spekuliert, dass durch das Wegsterben des reproduktiven Bevölkerungssegments auf makabere Weise die Verlangsamung oder sogar der Stillstand der Bevölkerungsexplosion eintreten könnte. Gerade am Beispiel AIDS würde sich aber auch viel schreiben lassen über die Rolle und die Rechte der Frauen. Oft hätte ich in Zimbabwe vermehrte Women’s Power gewünscht, wenn sich die immer gleiche Geschichte abspielte mit den Männern, die fernab von der Familie wohnten und statt Geld eben Geschlechtskrankheiten und den HI-Virus zurück in die Familien brachten. Dennoch konnten durch die AIDS-Epidemie ganze Dämme von Tabus gebrochen oder wenigstens angekratzt werden. Aufgrund der Epidemie ist das Thema der reproduktiven Gesundheit in Zimbabwe nun präsent, und die Chancen, dass die nächste Generation zu einem anderen Umgang mit ihrer Sexualität kommt, sind gegeben.

Das Verhalten der Menschen hängt nicht bloss vom Ausbildungsstand ab. Viel mehr zählt der Einfluss der sozioökonomischen Lage, und solange Armut herrscht, wird sich der/die Einzelne so verhalten, wie es das Umfeld von ihm/ihr verlangt. Und so kann es halt im Interesse der Familie sein, dass die Tochter schwanger wird und mit einem Brautpreis zur Weiterexistenz der Familie beiträgt. Individuelles Recht kommt im afrikanischen Alltag weit hinter die bedingungslose Einordnung in die Familienhierarchie. Dies gilt für Reproductive Health genau so wie für die anderen individuellen Rechte. Die Meinung, mit Women’s Empowerment die Probleme lösen zu können, ist möglicherweise ein Trugschluss, wie wir schon oft zuvor mit anderen gut gemeinten westlichen Lehrmeinungen hatten. Es bleibt mir auch die Erinnerung, dass sich eigentlich ausser mir niemand für das interessierte, was in Kairo besprochen wurde. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Veränderungen nicht per Dekret durchsetzbar sind, sondern nur dann, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen, was bedeutet, dass Leidensdruck und Betroffenheit bestehen.

Franz Küng, Arzt in Murten, arbeitete für SolidarMed am St. Theresa’s Hospital in Chirumanzu, Zimbabwe.

(1) 1994 World Population Data Sheet; Population Reference Bureau

(2) Chartbook: Africa Demografic and Health Survey; International Programs of Population Reference Bureau 1992, Chart 1, p. 7