Drängende Herausforderungen in der globalen Gesundheit

Ist das internationale Gesundheitsrecht chronisch krank?

Von Julia Salomé Richter

Der erneute Ausbruch einer Ebola-Epidemie in Zentralafrika zeigt die Notwendigkeit internationaler Gesundheitskooperation. Gleichzeitig weist das internationale Gesundheitsrecht einige Mängel auf.

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Ist das internationale Gesundheitsrecht chronisch krank?

«Internationale Gesundheitsfragen machen nicht vor Landesgrenzen Halt.» (Foto: Michael Richter).

 

Es ist der zweitgrösste Ausbruch des Ebola-Virus in der Geschichte der Menschheit: Im Juni 2019 wurden in Kongo-Kinshasa insgesamt 1'500 Todesfälle registriert, die auf die Infektionskrankheit zurückzuführen sind. Damit droht sich die Tragödie der bisher schwersten Ebola-Epidemie in Westafrika zu wiederholen: Zwischen 2014 und 2016 starben dort über 11’000 Menschen an der Krankheit. Diese dramatischen Ereignisse zeugen von den katastrophalen Folgen, die eine defizitäre Gesundheitsinfrastruktur haben kann – und verdeutlichen, wie eng Armut damit verknüpft ist. Denn jene Länder, die am stärksten unter dem Virus litten, bilden das Schlusslicht im globalen Entwicklungsindex. Zwar gab es auch vereinzelte Fälle der Krankheit in Europa und den USA. Eine weitere Ausbreitung des Virus konnte dort aufgrund der qualitativ hochstehenden Gesundheitsinfrastruktur jedoch rasch verhindert werden.

Die Ebola-Epidemie wirft ein Licht auf drei wichtige Aspekte:

Erstens zeigt sie, dass Gesundheit stark mit sozioökonomischen Faktoren verbunden ist. Damit sind globale Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit wichtige Dimensionen der Gesundheit.

Zweitens zeigt sich, dass es sich bei Gesundheitsthemen um globale Fragen handelt, die nicht vor Landesgrenzen Halt machen und deshalb einer internationalen Regelung bedürfen. Dies ist augenfällig im Falle von ansteckenden Krankheiten, deren Verbreitung unter anderem durch eine Intensivierung des Handels von Gütern und Dienstleistungen sowie der globalen Mobilität verstärkt wird. Doch ebenso wichtig ist die durch die Globalisierung bedingte Angleichung von Lebensstilen, die unter anderem den globalen Süssgetränke-, Alkohol- und Tabakkonsum und damit die Verbreitung nicht-übertragbarer Krankheiten (NCDs) wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Diabetes fördert. Mit jährlich 41 Millionen Toten zählen NCDs gegenwärtig zu den grössten globalen Gesundheitsbedrohungen.

Drittens wurde durch die Ebola-Epidemie deutlich, dass der internationale Kooperationsbedarf in Gesundheitsfragen zwar schon seit Längerem erkannt wurde, aber einige Mängel aufweist. Die Internationalen Gesundheitsvorschriften der Weltgesundheitsorganisation (WHO), ein völkerrechtlich bindendes Instrument, das die Menschen vor der Verbreitung von Infektionskrankheiten schützen soll, wurden in Zusammenhang mit Ebola nicht korrekt angewendet. Überhaupt schien die WHO kaum in der Lage, angemessen auf die Krisensituation auf dem afrikanischen Kontinent zu reagieren. Hier traten Schwächen des internationalen Gesundheitsrechts zu Tage, denen spezifische Herausforderungen der Gesundheitskooperation zugrunde liegen.

Safety suits for the decontamination team. Foto: DFID - UK Department for International Development/flickr, CC BY 2.0


Vor diesem Hintergrund soll in diesem Beitrag darauf eingegangen werden, welche Funktion internationales Gesundheitsrecht in Hinblick auf diese drei Aspekte hat und welche Herausforderungen sich dabei stellen. Dabei umreisst er (a) kurz den Gegenstand des internationalen Gesundheitsrechts, (b) geht auf spezifische Probleme ein und (c) wirft einen Blick auf zukünftige Entwicklungen:

Gegenstand des internationalen Gesundheitsrechts

Wie einleitend beschrieben, ist die Gesundheit eng mit dem sozialen und wirtschaftlichen Status, aber auch mit dem Entwicklungsstand eines Landes und damit mit der individuellen und globalen Chancengleichheit verknüpft. Dieser Dimension trägt die Weltgesundheitsorganisation WHO mit ihrer umfassenden Gesundheitsdefinition Rechnung, die Gesundheit als «Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen» bezeichnet. Darin zeigt sich, dass es sich beim internationalen Gesundheitsrecht im weiteren Sinne um ein komplexes Netz verschiedener Regulierungen handelt, die einen Einfluss auf die Gesundheit ausüben. Denn neben Bereichen, die direkt mit der Gesundheit verbunden sind, wie beispielsweise der Zugang zu Gesundheitsversorgung, zu Medikamenten und zu qualifiziertem Gesundheitspersonal, gibt es viele internationale Abkommen, die das Wohlergehen der Menschen beeinflussen, selbst wenn sie nicht explizit zur Regulierung der öffentlichen Gesundheit verabschiedet wurden. Beispiele sind Vereinbarungen im Arbeitsrecht, im Umwelt- oder im Wirtschaftsrecht und verschiedene Bestimmungen des internationalen Menschenrechtsschutzes.

Aufgrund dieser definitorischen Abgrenzungsschwierigkeiten fokussiert das internationale Gesundheitsrecht häufig auf die normativen Aktivitäten der WHO. Die 1948 gegründete Organisation hat zum Ziel „allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen.“ Bei ihrer Gründung wurde sie dafür mit umfassenden rechtssetzenden Kompetenzen ausgestattet, die im Verlauf ihrer Geschichte jedoch kaum angewandt wurden. In mehr als 70 Jahren hat die WHO mit den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005), der Rahmenkonvention über die Tabakkontrolle (2003) und den Nomenklaturvorschriften (1967) lediglich drei völkerrechtlich bindende Instrumente verabschiedet.

Damit besteht das internationale Gesundheitsrecht der WHO vorwiegend aus rechtlich nicht-bindenden-, sogenannten ‘Soft Law’-Übereinkommen. Diese umfassen Empfehlungen, Aktionspläne, Strategien und Richtlinien, die teilweise vertragsähnliche Züge aufweisen, den Staaten aber keine direkte völkerrechtliche Verpflichtung auferlegen. Prominente Beispiele sind in diesem Zusammenhang der Globale Verhaltenskodex für die Internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften (2010) sowie der Internationale Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten (1981).


Herausforderungen des internationalen Gesundheitsrechts

Die gegenwärtigen Herausforderungen des internationalen Gesundheitsrechts können im Rahmen dieses Beitrages nur in Ansätzen behandelt werden. Eingegangen wird auf zwei Aspekte, die für die Funktionsweise und die zukünftige Entwicklung des internationalen Gesundheitsrechts von erheblicher Bedeutung sind.

  • Wirtschaft und Gesundheit: Eine Interessenskollision

Die Konfliktlinie zwischen internationalem Gesundheitsrecht und wirtschaftlichen Interessen ist so alt wie das Rechtsgebiet selbst. Denn oft laufen Massnahmen zum Schutz der Gesundheit kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen zuwider. Bereits im 19. Jahrhundert bedeuteten Quarantänemassnahmen zur Vermeidung von Infektionskrankheiten grosse Einschränkungen für den internationalen Handel. An diesem Grundkonflikt hat sich bis heute nichts geändert. So halten die Internationalen Gesundheitsvorschriften fest, dass Gesundheitsschutzmassnahmen eine «unnötige Beeinträchtigung des internationalen (…) Handels» vermeiden sollen.

Zu Interessenskonflikten zwischen Gesundheitsschutz und Wirtschaft kommt es zudem auch im Bereich der NCDs. Diese können unter anderem auf Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung und den Konsum von Tabak, Alkohol oder stark zuckerhaltigen Getränken zurückgeführt werden. Der Bekämpfung dieser Risikofaktoren durch internationales, regionales oder nationales Recht stehen jedoch in vielen Fällen das Interesse und der beträchtliche Einfluss global agierender Konzerne gegenüber. So bemüht sich beispielsweise die Tabakindustrie nach Kräften, eine strenge Tabakregulierung mit Werbung und politischem Lobbying zu unterbinden. Wie das Beispiel der Schweiz zeigt, stellt dies für die Umsetzung der Rahmenkonvention über die Tabakkontrolle eine beträchtliche Herausforderung dar. So ist es unter anderem dem Einfluss der in der Schweiz starken Tabaklobby geschuldet, dass das Land die Konvention bisher nicht ratifiziert hat.

  • Internationales Gesundheitsrecht ohne «Weltpolizei»

Wie oben erwähnt, besteht ein Grossteil des internationalen Gesundheitsrechts der WHO aus Soft Law-Vereinbarungen. Ein gewichtiger Nachteil dieser rechtlich nicht-bindenden Instrumente ist das Fehlen von Durchsetzungsmechanismen und Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtbefolgung. Aus einer formal-rechtlichen Perspektive bedeutet dies, dass Staaten einem Abkommen zwar zustimmen, es aber später ohne Konsequenzen ignorieren könnten.

Auch völkerrechtlich bindende Abkommen sind nicht frei von dieser Problematik. Da es keine «Weltpolizei» gibt, die die Umsetzung internationaler Verträge überwacht und durchsetzt, ist es schwierig, Verstösse gegen das Völkerrecht zu bestrafen. Dies gilt für viele völkerrechtliche Regulierungsbereiche, offenbart aber auch eine grundlegende Schwäche der WHO: Denn obwohl sie mit rechtssetzenden Kompetenzen ausgestattet ist, fehlt es ihr an Strukturen, die von ihr erlassenen Bestimmungen durchzusetzen. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Umsetzung der Internationalen Gesundheitsvorschriften: Obwohl diese rechtlich bindend sind und zu den weltweit am breitesten unterstützten völkerrechtlichen Abkommen zählen, haben sich die Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit oft nicht an ihre Bestimmungen gehalten.


Ausblick: Wirksame Bestimmungen im internationalen Gesundheitsrecht sind notwendig

Dieser Beitrag hat zwei aktuelle Herausforderungen beleuchtet, mit denen sich das internationale Gesundheitsrecht konfrontiert sieht. In der Interessenskollision zwischen Wirtschaft und Gesundheitsschutz zeigt sich, dass es sich bei der internationalen Regulierung von Gesundheit um ein komplexes Themengebiet handelt, das verschiedene Interessen tangiert. Vor dem Hintergrund der umfassenden Bedeutung der Gesundheit für das Leben heutiger und zukünftiger Generationen ist es wichtig, dass den wirtschaftlichen Interessen des Privatsektors in jenen Bereichen, die gesundheitsschädigende Auswirkungen haben, wirksame Regulierungen auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene entgegengesetzt werden. Dies könnten beispielsweise (höhere) Steuern auf zuckerhaltige Getränke, Alkohol oder Tabak oder ein Werbeverbot für gesundheitsschädigende Produkte sein.

Die zweite aufgezeigte Herausforderung besteht in der Schwierigkeit, die Bestimmungen des internationalen Gesundheitsrechts durchzusetzen. Dies weist auf eine allgemeine Schwäche des Völkerrechts hin. Durch die wachsende politische Dominanz populistischer Kräfte und die damit verbundene stärkere Gewichtung nationaler Interessen akzentuiert sich diese Tendenz weiter. Allerdings gibt es gerade im Gesundheitsbereich Anreize zur Kooperation, die auch im Eigeninteresse der Staaten liegen – beispielsweise in Bereichen der technisch-wissenschaftlichen Harmonisierung. 

Zudem schmälern die Durchsetzungsschwierigkeiten den Bedarf internationaler Kooperation in Gesundheitsfragen nicht, sondern verlangen deren Stärkung. Und wie die dramatischen Auswirkungen der Ebola-Epidemie verdeutlichen, sind Fragen der Gesundheit auch eng mit den Themen der globalen Chancengleichheit, Gerechtigkeit und der Armutsbekämpfung verbunden – was die Notwendigkeit griffiger Bestimmungen im internationalen Gesundheitsrecht zusätzlich unterstreicht und zeigt: Der chronisch kranke Patient des internationalen Rechtssystems muss gesund gepflegt werden.

 

Julia Salomé Richter
Julia Salomé Richter hat im Rahmen ihrer Dissertation «Soft Law in International Health Law - the Case of the WHO's Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel», die Rolle von Soft Law-Instrumenten im internationalen Gesundheitsrecht untersucht. Sie arbeitet gegenwärtig im Studiengang «Gesundheitsförderung und Prävention» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).