Kurzfassung des Befragungsberichts

Befragung von Mitgliedern des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz zum Menschenrechtsansatz im Bereich Sexueller und Reproduktiver Gesundheit

By Jana Gerold, Sandra Staudacher-Preite & Sonja Merten and Jana Gerold, Sandra Staudacher-Preite & Sonja Merten

Das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz (MMS) hat diese qualitative Befragung in Auftrag gegeben mit besonderem Interesse daran, wie seine Mitgliedsorganisationen den Menschenrechtsansatz verstehen und im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte anwenden.

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Befragung von Mitgliedern des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz zum Menschenrechtsansatz im Bereich Sexueller und Reproduktiver Gesundheit

Foto: Steve Parkinson/flickr


Der Hauptzweck dieser Befragung bestand in der Untersuchung der Erfahrungen von Mitgliedern des MMS Netzwerks und deren Partnerorganisationen in der Operationalisierung des Menschenrechtsansatzes im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit. Die Befragung hat nicht untersucht, in welchem Ausmass die Arbeit seiner Mitglieder menschenrechtsbasiert ist. Des Weiteren beabsichtigt die Studie nicht, unmittelbar anwendbare Empfehlungen oder ein Instrumentarium dafür zur Verfügung zu stellen, wie ein Menschenrechtsansatz anzuwenden ist. Vielmehr möchte sie NGOs dazu anregen, über ihre Projekte im Sinne der analytischen Elemente eines Rechte-Schwerpunkts in der Programmplanung nachzudenken.



Source: Getting it Right for Children, Save the Children 2007

Definitionen
:
Ein Menschenrechtsansatz
beinhaltet die bewusste und systematische Beachtung von Menschenrechten in allen Aspekten der Programmentwicklung.

Jede einzelne Person ohne Ausnahme  ist TrägerIn von Rechten, ihr stehen dieselben Rechte zu, und sie muss in der Lage sein, Rechte geltend zu machen, Forderungen aufzustellen und Schadensersatz einzufordern.

Verpflichtete
sind in erster Linie staatliche Behörden und Einrichtungen sowie nicht-staatliche Institutionen. Verpflichtete müssen in Bezug auf konkrete TrägerInnen von Rechten identifiziert werden, da sie Verpflichtungen als Reaktion auf TrägerInnen von Rechten ausführen. (UNFPA 2012)

Konzeptionelle Anmerkung zu Definitionen und Vorgehensweise

Ein Menschenrechtsansatz (HRBA) wird definiert als konzeptioneller und analytischer Rahmen, welcher Menschenrechtsnormen, -standards und -prinzipien in die Entwicklungsarbeit integriert. Auf Rechten basierende Ansätze bemühen sich darum, Regierungen und andere Verpflichtete zur Verantwortung zu ziehen. Sie bestärken TrägerInnen von Rechten darin, ihre Rechte einzufordern.

Mit einem Menschenrechtsansatz in der Programmplanung zu arbeiten bedeutet, Rechte und dazugehörige Pflichten und Aufgaben in der Planung, Umsetzung und Budgetierung von Massnahmen zum Beispiel im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass ein Menschenrechtsansatz

  • eine analytische Perspektive bietet, die dabei hilft, die Komplexität von Problemen in der Entwicklungsarbeit zu verstehen, einschliesslich der Erkennung und Analyse von tieferliegenden und eigentlichen Ursachen von Problemen, auch in der Auseinandersetzung mit Ungleichheiten, Diskriminierungsmechanismen und ungerechten Machtverhältnissen (z.B. Armut als Ergebnis von Entmachtung und Ausschluss, bei TrägerInnen von Rechten, die das Recht auf Gesundheit haben etc.),
  • richtet das Hauptaugenmerk vermehrt auf die am meisten Marginalisierten und Ausgeschlossenen einer Gesellschaft, da ihnen ihre Menschenrechte am ehesten verwehrt werden,
  • erhöht die gesellschaftliche Teilhabe der am meisten Marginalisierten einer Gesellschaft, indem TrägerInnen von Rechten befähigt werden, ihre Rechte wahrzunehmen, und Verpflichtete befähigt, ihre Verpflichtungen zu erfüllen.


Vier Grundsätze wurden als am meisten relevant erachtet für die Anwendung auf die Programmplanung von NGOs, und hier als Richtschnur für die Analyse verwendet.
Die vier Grundsätze sind:

  1. Förderung von Rechenschaftspflicht und Transparenz bei den Verpflichteten, einschliesslich der NGOs selbst, von eindeutigen Rollen und Zuständigkeiten, von transparenten Entscheidungsprozessen,
  2. Befördern der Ermächtigung und Kompetenzentwicklung von TrägerInnen von Rechten, damit diese die Verpflichteten zur Verantwortung ziehen können,
  3. Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit TrägerInnen von Rechten und, soweit relevant, mit Verpflichteten zur Bildung von Bündnissen,
  4. Sicherstellen von sinnvollem Mitwirken von TrägerInnen von Rechten (schwer zugängliche / marginalisierte / benachteiligte / gefährdete Gruppen) und Verpflichteten.

 

Anwendung auf die Programmplanung bedeutet, dass die jeweiligen Grundsätze alle Stufen des Programmplanungsprozesses durchdringen (Situationsanalyse, Gestaltung und Planung, Umsetzung sowie Überprüfung und Auswertung).

Datenerhebung

Insgesamt 12 in der Schweiz ansässige NGOs und deren 12 örtliche Partnerorganisationen haben eine Dokumentation zu einem ihrer Projekte aus dem Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit eingereicht. Die Datenerhebung beinhaltete sowohl eine Dokumentenrevision als auch ausführliche, teilstrukturierte Interviews.

Die Projektauswahl der Mitglieder von MMS umfasste die folgenden Länder: Nicaragua, Paraguay, Senegal, Mali, Burkina Faso, Ruanda, Zimbabwe, Sambia, Malawi, Albanien und Bangladesch


Verschiedene methodische Limitierungen schränken das Ergebnis der Studie ein; sie sind im Befragungsbericht ausführlicher beschrieben.

Resultate

Von den 12 untersuchten Projekten verwendeten acht den Programmplanungszyklus mehr oder weniger konsequent als Planungshilfe. Keines der untersuchten Projekte wendete einen Menschenrechtsansatz systematisch auf alle Phasen des Programmplanungszyklus an.

Die Projekte konzentrierten sich auf die folgenden thematischen Bereiche innerhalb des Gebiets sexueller und reproduktiver Gesundheit:

  • (sexuelle) Gewalt,
  • Zugang zu sexueller Aufklärung und Informationen,
  • Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten (z.B. Familienplanung, Fisteln, HIV/AIDS),
  • Weibliche Genitalverstümmelung und -beschneidung,
  • Früh- und Zwangsverheiratung,
  • Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung vor dem Gesetz und in der Praxis, unabhängig vom Gesundheitszustand (z.B. HIV/AIDS)

Zusammenfassung der Befunde in Bezug auf den Projektmanagementzyklus

(1)   Situationsanalyse

  • Nur eins der untersuchten Projekte bezog Rechtsgrundsätze systematisch in die Situationsanalyse ein. Zwei NGOs, die ausdrücklich im Bereich Kinderrechte arbeiten, gaben an, dass sie zweimal im Jahr eine systematische Einschätzung oder Aktualisierung von Kinderrechten in den Ländern vornehmen, in denen sie tätig sind, um ihre Programmplanung entsprechend auszurichten.
  • Unter den teilnehmenden Projekten war kein systematischer Ansatz zu erkennen zur Analyse der Menschenrechtssituation, der damit zusammenhängenden politischen Grundsätzen, oder der unmittelbaren oder tieferliegenden strukturellen Ursachen, die Auswirkungen auf Menschenrechte haben,

(2)   Planung und Gestaltung

  • Bei drei Projekten wurden Grundsätze eines Menschenrechtsansatzes in die Planung und Gestaltung miteinbezogen. Es wurde jedoch keine konsequente Bewertung vorgenommen, um die Kompetenz der TrägerInnen von Rechten in der Einforderung ihrer Rechte, oder die der Verpflichteten in der Erfüllung ihrer Pflichten, zu analysieren.
  • Zwei Projekte waren bemerkenswert in ihrer Einbeziehung der TrägerInnen von Rechten in die Planungs- und Gestaltungsphasen.

(3)   Umsetzung

  • In dieser Projektphase wurden die Grundsätze eines Menschenrechtsansatzes bei acht Projekten einbezogen, hauptsächlich dank des partizipativen Arbeitsansatzes und der ethischen Arbeitsprinzipien der meisten NGOs.
  • Die meisten Projekte zielten auf Einzelpersonen und Gemeinschaften als TrägerInnen von Rechten ab (Frauen, Kinder, Kinder mit Behinderungen, Heranwachsende und Jugendliche etc.) und Verpflichtete (vorwiegend der Staat sowie dessen Dienstleister, wie z.B. Gesundheitseinrichtungen, ausführende Organe, Lokalverwaltungen).
  • Neben der Bereitstellung von Dienstleistungen zählten Programme zur Kompetenzentwicklung bei den TrägerInnen von Rechten und den Verpflichteten zu den zentralen Aufgaben, wie z.B. bewusstseinsbildende und sensibilisierende Veranstaltungen, meist für marginalisierte Gruppen oder Einzelpersonen, zu deren Rechten in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit, oder um Verpflichtete wie z.B. Dienstleister darin zu bestärken, eine qualitativ bessere Gesundheitsversorgung anzubieten. Das beinhaltete die Unterstützung bei der Umsetzung nationaler Richtlinien sowie das Informieren von Patienten darüber, was für eine Qualität der Gesundheitsversorgung sie erwarten könnten und auch erhalten sollten.
  • Verpflichtete wie z.B. Gesundheitsbedienstete wurden darin geschult, sich an die Richtlinien zu halten, und benötigte medizinische Ausstattung zur qualitativ guten Behandlung wurden zur Verfügung gestellt. Bei einem Projekt wurden Einrichtungs-basierte Gremien gegründet um Beschwerden über die Dienstleistungserbringung an hauptsächlich jungen Klienten im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit zu diskutieren. Junge Menschen wurden ausdrücklich darin geschult, an solchen Gremien teilzunehmen, nicht nur um soziale Verantwortung zu gewährleisten, sondern auch um einen jugendlichen Schwerpunkt in der Qualität der Dienstleistungserbringung gegenüber jungen Patienten zu setzen.
  • Bei bestimmten Themenbereichen (z.B. HIV-Behandlung), insbesondere dort, wo internationale Abkommen ratifiziert worden waren und nationale Richtlinien existierten (z.B. Kinderrechte), gaben die NGOs an, erfolgreicher in der Verbesserung der Gesundheitsdienstleistungen in Zusammenarbeit mit Verpflichteten zu sein.

(4)   Überprüfung und Auswertung

  • Keins der teilnehmenden Projekte wendete Verfahren zur Überprüfung und Auswertung an um zu veranschaulichen, wie Veränderungen in der Fähigkeit der TrägerInnen von Rechten, ihre Rechte auszuüben und einzufordern, erreicht wurden, oder in der Fähigkeit der Verpflichteten, diese Rechte zu respektieren, zu schützen und ihnen gerecht zu werden.
  • Die Studie konnte nur wenig Beteiligung von Verpflichteten und TrägerInnen von Rechten an der Überprüfungs-und-Auswertungs-Phase der Projekte erkennen.

Schlussfolgerung und Empfehlung

Diese Befragung verdeutlicht zwei Hauptresultate.

  1. Mitglieder des MMS und deren Partner-NGOs liefern einen wichtigen Beitrag in der Umsetzung von Menschenrechten, indem sie sich auf die am meisten marginalisierten Gruppen und Einzelpersonen und auf deren sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte konzentrieren
  2. Mitgliedsorganisationen von MMS wenden jedoch nicht systematisch die Grundsätze eines Menschenrechtsansatzes in ihren Projektzyklen an. Das kann an der begrifflichen Unklarheit des Menschenrechtsansatzes und seiner Anwendung auf die Programmplanung liegen.

Durch die Verwendung des Projektzyklus als analytischen Rahmen für diese Studie kann herausgestellt werden, dass insbesondere in der Umsetzungsphase viele Grundsätze (wie Teilhabe, Partnerschaft, Verantwortlichkeit, Kompetenzentwicklung) in den verschiedenen Projekten angewandt wurden. Im Gegensatz dazu war die Abwesenheit eines Menschenrechtsansatzes in der Programmplanung besonders deutlich erkennbar in drei Phasen des Programmplanungszyklus: in der Situationsanalyse, der Planung und Gestaltung sowie der Überprüfung und Auswertung.

Eine Empfehlung dieser Studie ist deshalb, das Netzwerk MMS als Plattform für seine Mitgliedsorganisationen zu nutzen, um einen aktiven Austausch über die konzeptionellen wie praktischen Folgerungen herzustellen, die sich aus einem Menschenrechtsansatz in der Programmplanung ergeben.

Jana Gerold, Sandra Staudacher-Preite & Sonja Merten
Dr. Jana Gerold, Swiss Tropical and Public Health Institute, Sandra Staudacher-Preite, PhD cand., Swiss Tropical and Public Health Institute, Dr. Sonja Merten, Swiss Tropical and Public Health Institute,