LeMuSiCa als Wegbegleiterin von Opfern sexueller Gewalt in Moçambique

Steh auf, Frau, und gehe Deinen Weg

De Catherine Hollinger

Die HIV-Prävalenz in Manica, einer Provinz im Westen von Moçambique, liegt bei über 15%. Dieser Wert ist unter anderem auf die hohe Rate an Gewaltdelikten und sexuellen Übergriffen zurückzuführen. Die Gewalt an Mädchen und Frauen wird gesellschaftlich immer noch toleriert. Viele Betroffene schweigen aus Angst. Mit Präventions- und Sensibilisierungsarbeit und der beispielhaften Begleitung von Mädchen und Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt sind, leistet die lokale NGO LeMuSiCa einen zentralen Beitrag zur Durchsetzung der Rechte von Frauen und Mädchen in der Provinz Manica.

Temps de lecture 8 min
Steh auf, Frau, und gehe Deinen Weg

Mädchengruppe von Lemusica beim Tanz (Foto: terre des hommes schweiz, zVg)

 

Chimoio, die Hauptstadt der Provinz Manica, ist am sogenannten Beira-Korridor in der Grenzregion zu Zimbabwe gelegen. Dieser Korridor hat eine hohe wirtschaftliche Bedeutung und spielt für den Güterverkehr aus dem afrikanischen Kontinent an den indischen Ozean eine grosse Rolle. Diese Strecke ist daher eine von Lastwagen stark befahrene Durchfahrtsstrecke.

Menschen in Grenzregionen oder Regionen an dieser grossen Durchgangsstrasse sind in Moçambique besonders stark von HIV/ Aids und dessen Folgen betroffen. Mädchen und Frauen sind sehr gefährdet mit dem HI-Virus angesteckt zu werden. Sexueller Missbrauch, Vergewaltigungen sowie Zwangsheiraten von minderjährigen Mädchen führen zu höheren Ansteckungsraten.

In breiten Teilen der Bevölkerung in Moçambique wird die Gewalt an Mädchen und Frauen nicht als solche wahrgenommen. Sie wird toleriert, tabuisiert und nicht öffentlich diskutiert. Dies als Schutz vor der Privatsphäre der einzelnen Familien. Obwohl die Gesetzeslage in Moçambique sexuellen Missbrauch klar verurteilt, gibt es in der Provinz Manica bisher wenig Bewusstsein dafür, Fälle zur Anzeige zu bringen. Oft ist es der Fall, dass die Opfer von sexueller Gewalt, in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zum Vergewaltiger stehen. Entweder der Täter gehört zur Familie, zur Nachbarschaft oder er ist sogar ein Lehrer. Die traditionelle Reaktion der Eltern ist, die betroffenen Mädchen umgehend zu verheiraten oder Schuldrückzahlung zu fordern.

Ohne Frauenrechte keine Menschenrechte!

LeMuSiCa ist seit 2004 eine Partnerorganisation von terre des hommes schweiz. Die Organisation wurde ursprünglich 1999 von einer Frauengruppe in Chimoio gegründet. LeMuSiCa steht für ‚Levanta-te mulher e siga o seu caminho‘, zu Deutsch ‚Steh auf, Frau und gehe Deinen Weg‘. Am 7. April 2000, am Tag der mosambikanischen Frau, ist eine kleine Gruppe Frauen von LeMuSiCa das erste Mal in der Öffentlichkeit aufgetreten. Unter dem Motto „Ohne Frauenrechte- keine Menschenrechte!“ hat sich LeMuSiCa das erste Mal für die Rechte der Frauen und Mädchen stark gemacht. 

Seit 2004 werden neben Frauen auch Kinder, Jugendliche sowie von HIV/ Aids betroffene Familien aktiv unterstützt, zudem werden wichtige Kampagnen- und Lobbyarbeit verrichtet. Immer noch gehört aber grosse Armut, fehlende Schulbildung, häusliche und sexuelle Gewalt zum Alltag der Frauen und Mädchen in Moçambique. Wenn man in Moçambique als Mädchen geboren wird, hat man noch immer einen schweren Weg vor sich.

Gesetze versus traditionelle Strukturen

In den vergangenen Jahren konnten jedoch zwei wichtige Meilensteine in der Gleichstellung der Geschlechter gelegt werden: Die Verabschiedung zweier Gesetze. Dem neuen Familiengesetz und dem Gesetz gegen häusliche Gewalt, an deren Vorentwürfen LeMuSiCa über das ‚Forum Mulher‘ (Forum Frau) aktiv mitwirkte. Dennoch schauen die meisten Menschen weg, wenn Mädchen oder Frauen misshandelt werden. Zwar ist die häusliche und sexuelle Gewalt an Frauen seit nunmehr fünf Jahren als Straftat definiert, trotzdem tragen viele Männer dazu bei, dass diese Gewalt weiterhin in der Gesellschaft bestehen bleibt, indem sie ihre Opfer bedrohen. Fälle von häuslicher und sexueller Gewalt werden nur dann geahndet, wenn die betroffenen Frauen und Mädchen den Mut haben, diese Männer anzuzeigen. Das Umfeld in der Provinz Manica ist noch immer sehr hierarchisch und patriarchalisch geprägt, die traditionellen Strukturen sind weiterhin sehr stark verankert. Eine Anzeige wird daher vor Gericht oft zurückgezogen. Besonders drastisch sind die traditionellen Gesetzgebungen, wenn es um das Schicksal junger Mädchen geht. Durch Zwangsverheiratungen soll die Ehre der Familie beispielsweise nach einer Vergewaltigung gewahrt werden. Anstatt den Täter vor Gericht zu bringen und Gerechtigkeit einzufordern, wird er zum Ehemann der Tochter gemacht. Durch das Bezahlen einer Entschädigungssumme ist der Fall dann erledigt.

14-jähriges Mädchen vor dem Zentrum von LeMuSiCa. Das Mädchen hat im Zentrum von LeMuSiCa seit ihrem 9. Lebensjahr Schutz und Betreuung erhalten.

14-jähriges Mädchen vor dem Zentrum von LeMuSiCa. Das Mädchen hat im Zentrum von LeMuSiCa seit ihrem 9. Lebensjahr Schutz und Betreuung erhalten. (Foto: Terre des hommes schweiz, zVg)


Eine sensibilisierte Gesellschaft

Das Ziel von LeMuSiCa ist es, diese kulturellen Praktiken zu hinterfragen und gegenwärtige Wahrnehmungen und Haltungen zu verändern. Nur so kann eine Umsetzung der Menschenrechte und der Geschlechtergleichheit erreicht werden. In dieser Sensibilisierung der Gesellschaft liegt eine weitere Stärke und ein wichtiger Schwerpunkt in der Arbeit von LeMuSiCa. So beteiligte sich die Organisation beispielweise von 2009-2012 an einer landesweiten Kampagne gegen den Missbrauch von Mädchen an Schulen (‚Não abuso sexual contra rapariga na educação‘). Die Aktion wurde von actionaid initiiert und LeMuSiCa war die umsetzende Organisation in Manica. Zu der Kampagne gab es ein Manual, welches LeMuSiCa zur Verfügung gestellt wurde und als Grundlage diente, um mit den Mädchen und Lehrerinnen an den Schulen und auch in den Gemeinden zu arbeiten. Das Ziel war es, Gruppen von Vertrauensschülerinnen und Lehrerinnen auszubilden. Diese agieren nun als Ansprechpartnerinnen für Mädchen, die von Lehrern belästig oder missbraucht werden. Darüber hinaus fanden Mädchenkonferenzen auf Provinz- und nationaler Ebene statt, an welchen ebenfalls abgeordnete Mädchen aus dem Umfeld von LeMuSiCa teilnahmen. Dafür wurden diese Mädchen von LeMuSiCa vorbereitet und hatten so genügend Kompetenz, um über Erfahrungen des sexuellen Missbrauchs an Schulen in Manica an der Konferenz zu berichten.

Nicht nur an Schulen, sondern vor allem auch auf Gemeindeebene werden die Mitmenschen sensibilisiert, sich dafür einzusetzen, sexuelle Belästigung und Ausbeutung zu verhindern und das Wissen über die bestehenden Gesetze weiterzugeben. LeMuSiCa organisiert dafür in den verschiedenen Barrios, den verschiedenen Bezirken, Seminare mit wichtigen Führungspersonen im Sinne der ‚Jornada da Vida‘ (Reise des Lebens). Mit einem Blick auf den zurückliegenden Weg, wird zur Reflexion über Geschehenes angeregt und Möglichkeiten zur Bewältigung von Problemen für die Zukunft eruiert. Die Seminare der ‚Jornada da vida‘ helfen den Gemeinden mit den Schwierigkeiten umzugehen, denen sie sich auf Grund von Gewalt und HIV/Aids ausgesetzt sehen. Die Seminare liefern Informationen und vermitteln Fähigkeiten, um entsprechende Aktionen gemeinsam zu planen und durchzuführen. Die Seminare regen zur Reflektion, zum Dialog und zu Aktionen zum Wohle derjenigen an, die am schwersten von den Folgen von Gewalt und HIV/ Aids betroffen sind. An den Seminaren werden vor allem Betreuerinnen, Eltern, religiöse und traditionelle Führer, Lehrer, Polizei und politische Verantwortliche in den Gemeinden geschult. Dieses Instrument eignet sich, um eine Mobilisierung der Gemeindemitglieder zu initiieren und Aktionsprozesse in Gang zu setzten, die nach einer bestimmten Zeit der Begleitung in Eigenregie von den Gemeinden weitergeführt und ausgebaut werden können und sollen. Die ‚Jornada da Vida‘ ist ein fortschreitender Prozess, von Generation zu Generation. Die Seminare sollen die Gemeinden dahin führen, ihre eigenen Lösungen zu suchen und zu finden. Es werden dafür Methoden wie Drama, Kunst, Tanz, Gesänge und Diskussionen eingesetzt, um neue Ideen und Fertigkeiten zu entwickeln. Die ‚Jornada da vida‘ möchte alle dazu ermutigen, ihre eigenen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und ein kollektives Aktionsprogramm zu entdecken. Es soll so umgesetzt werden, das alle davon profitieren können.

Die Arbeit und die innovativen Ansätze zur Arbeit im Bereich von HIV/Aids mit dem Schwerpunkt Gender und dem Aspekt Gewalt gegen Frauen und Mädchen wird auch von der Regierung anerkannt, dies zeigt der Gewinn des zweiten Platzes von LeMuSiCa am Wettbewerb ‚best practises‘, von sage und schreibe 109 teilnehmenden Organisationen. Ein toller Erfolg, den sich LeMuSiCa hart erarbeitet hat.

Beispielhafte Opferbegleitung

Neben dieser enorm wichtigen Arbeit auf Gemeinde- und Regierungsebene hat LeMuSiCa die Notwendigkeit der psychosozialen und juristischen Betreuung von betroffenen Mädchen und Frauen der häuslichen und sexuellen Gewalt erkannt. Die Organisation bietet Unterstützung und Beratung in rechtlicher, medizinischer und psychosozialer Hinsicht. Dabei werden die Gewaltopfer auf ihrem schwierigen Weg unterstützt und eng begleitet. Für Mädchen und Frauen in sehr kritischen Lebenssituationen besteht sogar die Möglichkeit der kurzfristigen Unterbringung im Zentrum von LeMuSiCa. Die persönliche Unterstützung ist dabei sehr vielfältig und individuell abgestimmt. So reicht diese von Beratung über Überwachung und Pflege bis hin zur Begleitung ins Krankenhaus. Dabei werden die Betroffenen zu keinem Zeitpunkt alleine gelassen, diese Opferbegleitung von LeMuSiCa ist beispielhaft. Fälle von Belästigung, sexuellem Missbrauch und Frühverheiratung werden zudem in den entsprechenden Institutionen angezeigt und die Prozesse juristisch eng begleitet. Es findet eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden und LeMuSiCa statt.

Leider kommen die Täter aber noch viel zu oft mit kleinen Geldbussen davon. Die Vertreter der Justiz sind oftmals Teil der traditionellen, bereits bestehenden Strukturen. Vor einigen Wochen hat LeMuSiCa zwei Vergewaltigungsopfer aufgesucht und entsprechend begleitet. Die beiden 8-jährigen Mädchen wurden beide von ihrem eigenen Onkel über längere Zeit vergewaltig. Die Taten kamen ans Licht, als die Mädchen immer schwächer und dünner wurden und dies LeMuSiCa bemerkte. Die Organisation hat sofort interveniert, beide Mädchen wurden ins Krankenhaus begleitet und alle nötigen Tests veranlasst. Beide Mädchen sind mit dem HI-Virus infiziert. Die Mädchen befinden sich nun im Zentrum der Organisation, wo sie die notwendige medizinische und psychosoziale Begleitung erhalten, einschliesslich des Beginns der anti-retroviralen Behandlung. Der Vergewaltiger wurden zunächst im Gefängnis festgesetzt, doch inzwischen sind sie wieder auf freiem Fuss- gegen eine Zahlung von jeweils 15‘000 Meticais (ca. 450 CHF). LeMuSiCa ist empört über den Verlauf des Falles und wird eine Wiederaufnahme fordern- doch die Mühlen der Justiz mahlen in Moçambique noch langsamer als sonst und die Mitarbeiter der Gerichte und Polizei sind Teil eines korrupten Systems. Die beiden Mädchen bleiben stark traumatisiert zurück.

LeMuSiCa setzt alles daran, sich mit viel Hingabe um diese Mädchen zu kümmern und unterstützt sie dabei, ihr Trauma zu verarbeiten. Die Organisation hat dafür damit begonnen, ‚Herobooks‘ (Heldenbücher) mit den Kindern und Jugendlichen herzustellen. Das Ziel dieser Methode ist es, dass Kinder und Jugendliche schwierige Situationen aus ihrem Leben aufarbeiten können, indem sie ihre eigenen Bücher gestalten. Das ‚Herobook‘ ist ein Produkt eines Prozesses, bei welchem das Kind zugleich die Rolle des Autors, des Illustrators, des Protagonisten und des Produzenten übernimmt. In einer Gruppe werden die Kinder durch die kreative Übung und das Erzählen von autobiographischen Geschichten geleitet. Dabei lernen sie mit spezifischen Herausforderungen in ihrem Leben umzugehen. Der Fokus liegt auf persönlichen Problemen und Herausforderungen, er wird aber auch die sozialpolitische Dimension angesprochen, da andere Kinder oftmals den gleichen Problemen begegnen, welche ihren Ursprung in der Öffentlichkeit haben. Am Ende des Prozesses hat jeder Jugendliche sein eigenes, autobiographisches Buch, das seine eigene Geschichte erzählt und heldenhafte Überlebens- und Widerstandsfähigkeiten positiv hervorhebt und bestärkt. Gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit ebenfalls auf die zugrunde liegenden sozialen Themen und Strukturen gelegt. Dies ist ein wichtiger Prozess, um Selbstvertrauen und Zuversicht zu gewinnen und einen Schritt vorwärts gehen zu können, viele Kinder und Jugendliche fassen dadurch neuen Mut.

Nach 14 Jahre grösstem Einsatz und Energie für die Rechte der Frauen und Mädchen in Moçambique ist LeMuSiCa nicht nur in der Stadt Chimoio sondern in der ganzen Provinz Manica bis hin zur Hauptstadt Maputo bekannt und spielt in der Gesellschaft eine bedeutende Rolle.. Mit viel Geduld, Beständigkeit und dank ihrem besonderen Engagement für Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt geworden sind, setzt sich LeMuSiCa jeden Tag für ihre Zielgruppe ein. Auch 14 Jahre nach dem ersten öffentlichen Auftritt der Organisation bleiben die Herausforderungen in Manica sehr gross. LeMuSiCa und terre des hommes schweiz sind stolz darauf, dass es viele mutige Frauen gibt, die vor Gericht treten. Dass Mädchen aus Manica zu LeMuSiCa gehen, um sich vor einer Zwangsheirat zu schützen. Wir sind sicher, dass all die Jugend-und Frauengruppen, die sich um die Benachteiligten kümmern und all die Männer, die über Geschlechterungleichheiten sprechen und aktiv im Kampf gegen HIV/ Aids sind, viel bewirken können.

Catherine Hollinger
Catherine Hollinger ist 29 jährig und wohnt in Basel. Sie hat einen Master of Science in Education, Uni Bern, und einen Bachelor of Arts in Soziologie und Geschichte, Uni Basel. Seit 2009 ist sie bei terre des hommes schweiz tätig; seit April 2014 in der Funktion als Programmkoordinatorin für Moçambique.