Einleitung: Der Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten

Nachlassen verboten

De Martin Leschhorn Strebel

Die Bekämpfung der vernachlässigten tropischen Krankheiten ist eine internationale Herausforderung, in der sich Gesundheitszusammenarbeit, Forschung und eine funktionierende globale Gesundheitsgouvernanz gegenseitig bedingen. Nach zögerlichen Fortschritten in den vergangenen Jahren fragt es sich, ob jetzt die Zeit für den grossen politischen Durchbruch gekommen sein könnte.

Temps de lecture 4 min
Nachlassen verboten

Untersuchung zur Bekämpfung der tropischen Krankheit Trachom in Äthiopien. (Flickr/© Dominic Nahr/Magnum Photos/Sightsavers)

 

Die Ausgangslage, die am Anfang dieses Bulletins steht, ist eigentlich einfach und schon lange bekannt: 1,5 Milliarden Menschen leiden an tropischen Krankheiten, gegen welche die Therapien äusserst mangelhaft sind und die Forschung und Entwicklung neuer, zukunftsweisender Medikamente sehr beschränkt ist. Für die pharmazeutische Industrie sind Investitionen in diesen Bereich aus ökonomischen Gründen nicht attraktiv, weil die Nachfrage zwar gross wäre, die Betroffenen aber arm und deshalb wenig markttauglich sind. Gerne spricht man in diesem Zusammenhang von einem klassischen Marktversagen. Dies hat der Geschäftsführer von FAIRMED, René Stäheli, an einer Veranstaltung in Bern auf den Punkt gebracht: “Beträfe eine dieser Krankheiten dagegen die erste Welt“, gibt René Stäheli zu bedenken, „wäre sie sofort nicht mehr vernachlässigt.“ Über die Veranstaltung berichten wir in dieser Ausgabe des MMS Bulletins.

Versagt der Markt bei der Bereitstellung öffentlicher Güter ist gemeinhin die öffentliche Hand gefragt. Doch seit Jahren schon beisst sich die Staatengemeinschaft an der Frage fest, wie Forschung und Entwicklung von Medikamenten gegen diese Gruppe vernachlässigter Krankheiten vorangetrieben werden könnte. Die Interessengegensätze zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungs- und Schwellenländern scheinen nach wie vor schwierig zu überwinden.

PDPs und Philanthropie

Angesichts dieser Blockade sucht man verstärkt nach möglichen Ansätzen und Wegen, die Forschung und Entwicklung trotzdem voranzutreiben. Eines der Modelle, das Ende der 90er Jahre entstanden ist, sind Produkteentwicklungspartnerschaften (Product Development Partnerships, PDPs). Dabei arbeiten Forschung, Industrie, die öffentliche Hand und weitere Partner zusammen, um beispielsweise von der Industrie entwickelte Wirkstoffe in wirksame Medikamente einfliessen zu lassen. Die Industrie bleibt weiterhin Besitzerin des Wirkstoffes, kann dabei aber Risiken und Entwicklungskosten einsparen. Die Drugs for Neglected Tropical Diseases initiative (DNDi) ist ein Beispiel für eine solche, erfolgreiche PDP-Institution.

Einer der treibenden Faktoren hinter PDPs sind philanthropische Ziele der pharmazeutischen Industrie – und der öffentlich Druck: Im Kampf gegen die vernachlässigten tropischen Krankheiten nicht hinten anstehen, hat natürlich auch mit Reputationsmanagement zu tun. Solange auf Ebene der globalen Gesundheit nicht wirklich neue Anreize zur Innovationsförderung gegen vernachlässigte Krankheiten durchgesetzt werden können, sind diese philanthropisch geprägten Ansätze nach wie vor von hoher Wichtigkeit. Dabei geht es längst nicht nur um das Bereitstellen der notwendigen Behandlungen, sondern auch um die Entwicklung umfassender Strategien, im Kampf gegen eine Krankheit, wie die Arbeit der Novartis Foundation im Kampf gegen Lepra in dieser Ausgabe zeigt.

Vernachlässigte Tropische Krankheiten in den SDGs
"Support  the  research  and  development  of  vaccines  and  medicines  for  the  communicable  and  non-communicable  diseases  that  primarily  affect  developing countries,  provide  access  to  affordable  essential medicines  and  vaccines,  in accordance with the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health,  which affirms the right of developing countries to use to the full the provisions in  the Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights regarding flexibilities to protect public health, and, in particular, provide access to medicines for all."

Ein globales Forschungsabkommen?

Dass es aber auch auf der Ebene der internationalen Politik ein Vorwärtskommen braucht, ist offensichtlich. 2012 hat eine WHO Expertengruppe, die Consultative Working Group on Research and Development (CEWG), einen Bericht vorgelegt, der ein weltweit bindendes Abkommen für Gesundheitsforschung gefordert hat. Darin sollten Regierungen verpflichtet werden, eine bestimmte Summe für die Forschung gegen Krankheiten bereitzustellen, von der vor allem arme Länder, betroffen sind. Der Vorschlag erlitt zwar in der Weltgesundheitsversammlung 2012 Schiffbruch, weil er von den Industriestaaten abgelehnt wurde. Doch war der Druck so gross, dass es zu einem Kompromiss kam, mit welchem ein Fonds geschaffen wurde, der ganz konkrete Forschungsprojekte unterstützen sollte.

Die Schweiz hat 2012 ein verbindliches Abkommen abgelehnt (Wagner 2012), aber im Rahmen der Umsetzung des Kompromisses eine aktive und positive Rolle übernommen. Susanna Hausmann legt in ihrem Hintergrundbeitrag für dieses Bulletin die Haltung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit dar.

Angesichts der hochpolitisierten Geschichte rund um die fehlenden Mittel für die Forschung und Entwicklung gegen die vernachlässigten tropischen Krankheiten stellt sich schon die Frage, ob es überhaupt international genügend Engagement gibt, um wirklich im Kampf gegen die Armutskrankheiten vorwärtszukommen.

Ebola-Epidemie als Momentum?

Die Ebola-Epidemie könnte nun zum nötigen Druck führen. Auf diese beziehen sich die AutorInnen eines Essays auf PLOS Medicine: „Over the last few years, there have been significant challenges in and increased concerns around anti-microbial resistance (AMR), emerging infectious diseases, and neglected diseases (NDs). Both AMR and emerging infectious diseases, specifically Ebola, have recently been elevated to the level of public health concerns affecting global security.” (Balasegaram et al, 2015)

Um gegen Mikrobenresistenzen, verstärkt auftretende Infektionskrankheiten und die vernachlässigten Krankheiten vorgehen zu können, rufen die ForscherInnen in dem Essay nach einem nachhaltig finanzierten globalen Fonds für die Forschung und Entwicklung. Dieser soll die Entwicklung neuer Ansätze in diesen drei zentralen Bereichen der öffentlichen Gesundheit vorantreiben.

Hoffen wir mal, dass dieser neue Elan mit dem Ende der Ebola-Epidemie nicht zum Erliegen kommt. Doch hoffen allein darf nicht genügen. Schliesslich wird sich die Staatengemeinschaft in den neuen nachhaltigen Entwicklungszielen dazu verpflichten, „Forschung und Entwicklung für Impfstoffe und Medikamentes gegen übertragbare und nicht-übertragbare Krankheiten zu fördern, die primär Entwicklungsländer betreffen.“ So heisst es klipp und klar im Unterziel 3b der neuen Nachhaltigkeitsziele.

 

Ressourcen

Balasegaram M, Bréchot C, Farrar J, Heymann D, Ganguly N, Khor M, et al. (2015) A Global Biomedical R&D Fund and Mechanism for Innovations of Public Health Importance. PLoS Med 12(5): e1001831. doi:10.1371/journal.pmed.1001831. http://www.plosmedicine.org/article/fetchObject.action?uri=info:doi/10.1371/journal.pmed.1001831&representation=PDF

Christian Wagner: Auf die lange Bank geschoben: Keine Einigung über Forschungsabkommen bei der WHA. MMS Bulletin 124. http://www.medicusmundi.ch/de/bulletin/mms-bulletin/gesundheit-in-der-entwicklungs-und-aussenpolitik/debatte/auf-die-lange-bank-geschoben

Sustainable Development Goals, SDGs: Draft outcome document of the United Nations summit for the adoption of the post -2015 development agenda. United Nations, General Assembly, 12 August 2015 (pdf) http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/69/L.85&Lang=E

Martin Leschhorn Strebel
Martin Leschhorn Strebel Geschäftsführer des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz.