De Stefan Hofmann
"Ohne die Rente wären wir längst tot", war in den ersten Jahren des Kwa Wazee-Rentenprogramms häufig zu hören. In manchen Fällen schien dies nicht einmal übertrieben: Anfang des Jahrtausends konnte im ländlichen Tansania zunehmend beobachtet werden, wie heftig die HIV/AIDS-Krise auch die ältesten Familienmitglieder betraf. Doch erst nachdem die Rolle alter Menschen bei der Versorgung von verwaisten Enkelkindern deutlich geworden war, begann sich der Fokus auch auf die generell prekäre Situation alter Menschen zu richten. Es zeigte sich dabei bald einmal, wie wenig bekannt war über ihre besondere Verletzlichkeit, über ihre Gesundheitssituation aber auch über ihre Leistungen und Potentiale. Entsprechend wurden die folgenden Jahre für Kwa Wazee auch zu einer Art andauernden Entdeckungsreise.
Dieser Artikel steht auch in englischer Version zur Verfügung.
2003 wurde Kwa Wazee, was auf Kisuaheli soviel heisst wie 'Für alte Menschen', mit dem Ziel gegründet, die äusserst prekäre Situation alter Menschen durch regelmässige Bargeldbeiträge zu lindern. Die Massnahme war damals noch unpopulär, der Betrag mit anfägnlich 4 US-$ pro Monat klein, die Anzahl der Unterstützten bescheiden, und doch zeigte sich die Wirkung so deutlich und so unmittelbar, dass das Programm in den folgenden Jahren kontinuierlich ausgebaut wurde. In der Mehrzahl wurden zu Beginn Frauen aufgenommen, von denen rund die Hälfte für Enkelkinder sorgten.
Die 2007/8 durchgeführte Studie (Salz, Seife und Schuhe für die Schule, pdf) zur Wirkung der Kwa Wazee-Renten bestätigte und vertiefte die ersten Eindrücke und zeigte im quantitativen Teil, dass durch regelmässige Geldbeträge unterstützte alte Menschen in den meisten untersuchten Bereichen – Ernährung, Versorgung mit Grundprodukten, Krisenresistenz, psychologisches Wohlbefinden – signifikant besser abschnitten als die Kontrollgruppe, die keine Rente erhielt.
Wenn im qualitativen Teil der Studie Grossmütter nach den grössten Unterschieden gefragt wurden seit der Einführung der Renten, äusserten sie häufig als erstes, dass sie jetzt Salz und Seife kaufen konnten. Dies überraschte, weil die Ausgaben für diese Produkte bescheiden waren in einem Gesamtbudget, in welchem der allergrösste Teil für Lebensmittel ausgegeben wurde. Doch es zeigte sich bald, dass Salz und Seife Metaphern waren, das heisst im Falle von 'Salz' stellvertretend nicht nur für mehr Ernährungssicherheit, sondern auch für geschmackvolleres Essen und dafür, wieder 'dabei' zu sein im gesellschaftlichen Netz von Geben und Nehmen: auch einmal selber Salz ausleihen zu können, wenn's beim Nachbarn knapp ist. 'Seife' andererseits bedeutet nicht nur mehr Hygiene und Sauberkeit, sondern auch besseres soziales Eingebundensein, mehr Selbstwert, Selbstvertrauen und Würde.
Komplexer waren die Ergebnisse im Bereich Gesundheit. In den Gruppengesprächen wurde die bessere Gesundheit zwar oft erwähnt, doch trotz besserer Ernährung, besserer Hygiene, besserer psychischer Verfassung gaben fast 70 Prozent an, häufig oder permanent an Krankheiten zu leiden. Im Vergleich war bei den RentenbezügerInnen immerhin jene Gruppe deutlich kleiner, die sich als fast immer krank bezeichneten.
Es zeigte sich auch, dass der Zugang mittelloser alter Menschen zu Gesundheitseinrichtungen – entgegen den geltenden Rechten – nicht gewährleistet war. Keiner der Befragten gab an, in der Vergangenheit kostenlos behandelt worden zu sein. Hingegen wurden viele Beispiele angeführt wie alte Menschen in den Spitälern abgewimmelt wurden. Nicht selten hörten wir Aussagen: "Wenn ich krank bin, bleibt mir meist nichts anderes als mich hinzulegen und zu hoffen, dass es vorbeigeht."
Als Folge dieser Erfahrungen und Erkenntnisse wurde in den folgenden Jahren von Kwa Wazee mit bescheidenen Mitteln ein Gesundheitsprogramm aufgebaut, welches auf folgende Elemente setzt:
Im einem grösseren Rahmen können folgende Beobachtungen gemacht werden:
Aufgrund der beschränkten finanziellen Mittel wurde im Rentenprogramm von Kwa Wazee von Beginn an und mit verschiedensten Ansätzen versucht, die Bedürftigsten unter den alten Menschen zu ermitteln. Dabei zeigte sich, dass in einem Kontext, in welchem der grösste Teil der älteren Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, eine Auswahl nur sehr unbefriedigend zu lösen ist und immer auch Ausgrenzung bedeutet. Seit Jahren ist allen Beteiligten bewusst, dass ein nationales Sozialrenten-Programm alle erreichen müsste – wie bei uns die AHV. Nicht zuletzt, weil sozialer Schutz im Alter damit als Recht und nicht als Privileg wahrgenommen wird.
In diesem November startet Kwa Wazee in Absprache mit dem Distrikt in zwei Dörfern ein Pilotprogramm, in welchem alle alten Menschen über 70 Jahren eine Rente erhalten werden. Insgesamt sind dies etwa 180 Frauen und Männer. Vom Versuch verspricht sich Kwa Wazee viele Erfahrungen und Erkenntnisse über Prozesse und Verfahren im Kleinen. Besonderes Interesse gilt auch den Dorfkomitees, die – gewählt von den RentnerInnen – das Rentenprogramm umsetzen werden.
Im Rahmen des Monitorings durch Kwa Wazee wird es auch möglich sein, Rückmeldungen zu Gesundheitsfragen der gesamten ältesten Bevölkerung zu erhalten. Zum Beispiel, welche Krankheitsbefunde ihnen bekannt sind und wie sie behandelt werden.
KWA WAZEE
KWA WAZEE wurde 2003 von Dr. Kurt Madörin, einem Entwicklungsexperten, der lange für terre des hommes schweiz gearbeitet hatte, iniitiert und zusammen mit einem kleinen lokalen Team aufgebaut. In der Schweiz entstand gleichzeitig der Verein Kwa Wazee für Mittelbeschaffung und Öffentlichkeitsarbeit. 2016 erhalten rund 1'100 alte Menschen eine Rente und zusätzlich Kindergeld, falls sie Hauptversorgende sind von Enkelkindern. Die Cash-Transfers werden begleitet von den Programmen zur Förderung von Selbsthilfegruppen, zur Stärkung von Gesundheit und Sicherheit sowie Advocacy. Zusätzliche Programme konzentrieren sich auf die Stärkung vor Kindern und Jugendlichen.
Zusammenfassung der Studie: Salz, Seife und Schuhe für die Schule (2008): http://www.kwawazee.ch/application/files/5914/4304/6613/Salz_Seife_und_Schuhe_fuer_die_Schule.pdf