Diversität beim Pflegepersonal

Männer mit Migrationshintergrund in der Pflege – eine doppelte Minderheit

De Clergia Gaudenz, Yuliya Senft und Patrizia Zala

Pflegefachkräfte aus dem In- und Ausland, Frauen wie Männer sind wertvolle Ressourcen für das Wohl einer alternden Gesellschaft. Unser Gesundheitswesen benötigt alle Unterstützung, die es bekommen kann, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Das führt zu grosser ethnischer und kultureller Vielfalt am Krankenbett. Eine besondere Gruppe unter den Pflegenden sind Männer mit Migrationshintergrund. Wie finden sie ihren Weg ins Schweizer Gesundheitswesen? Wie kommen sie in diesem traditionellen Frauenberuf zurecht? Drei „Pflegemigranten“ geben Auskunft und erzählen ihre Geschichte.

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Männer mit Migrationshintergrund in der Pflege – eine doppelte Minderheit

Foto: DFID - UK Department for International Development / flickr

 

Die Menschen werden europa- und schweizweit älter. Die Nachfrage nach qualifizierten Pflegefachkräften steigt. Der bereits bestehende Graben zwischen den verfügbaren und den benötigten personellen Ressourcen im Gesundheitswesen wird sich in naher Zukunft weiten (Kägi et al., 2014, Zúñiga et al., 2013). Verschiedene Faktoren tragen zu diesem Notstand bei: Pflege ist nach wie vor ein Frauenberuf. Viele Frauen steigen (teilweise vorübergehend) aus dem Beruf aus und widmen sich der Familie (Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen and OdASanté, 2009). Gesundheitliche Probleme (Hasselhorn et al., 2006), unter anderem aufgrund physischer und psychischer Belastungssituationen (EU-OSHA, 2014), verursachen weitere vorzeitige Abgänge. Generell ist die Fluktuation unter den Pflegenden gross. (McGilton et al., 2013, Choi and Johantgen, 2012). Eine sinkende Geburtenrate (Jaccard Ruedin et al., 2009) und das unattraktive Image des Pflegeberufs (Blomberg et al., 2013) führen zu mangelndem Nachwuchs. Das verschärft die Situation zusätzlich.

Verschiedene Strategien haben das Ziel, die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage im Pflegesektor zu verringern: Flexiblere Ausbildungs- und Arbeitszeitmodelle fördern das Interesse am Pflegeberuf. Neue Karriereperspektiven (OdA Santé, 2014) und ein höheres Rentenalter (Heinen et al., 2013) verlängern die Verweildauer im Beruf. Das Rekrutieren ausgebildeter Berufsfrauen und -männer im Ausland ist aber nach wie vor das wirkungsvollste Mittel – mindestens vorläufig (De Veer et al., 2004, Heinen et al., 2013).

In dieser Arbeit erhalten drei Pflegemänner das Wort: Alexander, 58 Jahre, aus der Schweiz, Hagos, 31 Jahre, aus Eritrea, und Mark, 42 Jahre, aus Deutschland. Sie erzählen, wie sie zur Pflege kamen, wie sie ihren Arbeitsalltag hier und anderswo erleb(t)en und was sie an diesem Beruf begeistert.

In einstündigen Einzelinterviews berichteten uns drei Pflegemänner mit Migrationshintergrund von ihrem beruflichen Werdegang und ihren Praxiserfahrungen. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und thematisch ausgewertet. Die Interviewteilnehmer wurden so ausgewählt, dass ihre Schilderungen einen breiten Einblick in die Diversität dieser Fachkräfte gewährten. Die Ergebnisse einer Literaturrecherche zu Migration und Geschlechtersegregation in der Pflege flossen ergänzend in den Hintergrund ein.

Migration im Pflegeberuf – Chancen und Herausforderungen

Analog zur Bevölkerung werden auch die Pflegenden in der Schweiz heterogener (Jaccard Ruedin and Widmer, 2010, Statistik, 2013). Die meisten Migranten im schweizerischen Gesundheitswesen kommen aus dem nahen Ausland, manche aber auch von weit her (Statistik, 2013). Sie schätzen die vergleichsweise guten Lohn- und Arbeitsbedingungen, suchen persönliche Sicherheit für sich und ihre Familien oder die Möglichkeit, sich beruflich weiterzuentwickeln  (Kingma, 2001, Huber and Mariéthoz, 2010).

Mark absolvierte seine Ausbildung zum Pflegefachmann in Deutschland. Er kam in die Schweiz, weil „ich hier mehr Zeit für die Patienten habe und Qualität in der Pflege einen höheren Stellenwert geniesst und mehr geschätzt wird. – Einen guten Job machen, das ist mir wichtig und im Moment stimmt es so, wie es ist.“

Anerkennung für die geleistete Arbeit war auch für Hagos ein wichtiger Beweggrund sich für den Pflegeberuf zu entscheiden. Nachdem der gelernte Betriebsökonom und Familienvater aus Eritrea erfolglos einen Job in seinem angestammten Beruf gesucht hatte, arbeitete er in verschiedenen Branchen. Er fand dort keine Erfüllung. Inspiriert durch ein Praktikum in einem Pflegeheim entschied er sich für die Ausbildung zum Fachangestellten Gesundheit (FaGe): „Mir gefällt, dass ich auf meinem Erfahrungsschatz aufbauen kann. Ich habe im Militärdienst in Eritrea Verletzte gepflegt und mich um meine Grossmutter gekümmert, als sie krank war. – Es tut mir gut, wenn ich anderen Menschen helfen kann und meine Arbeit geschätzt wird. Die Patienten haben schon gesagt, dass sie sich freuen, wenn ich zur Arbeit komme. Das motiviert! Vielleicht mache ich später noch einen HF-Abschluss (Abschluss auf Fachhochschul-Niveau). Wer weiss?“

Migration in der Pflege findet aber auch in umgekehrter Richtung statt. So lernte Alexander Krankenpflege, „um in Entwicklungsländern arbeiten zu können – es gab keinen anderen Grund.“ Nach der Ausbildung und zwei Jahren Berufserfahrung in der Schweiz zog es ihn nach Afrika. Seine Augen leuchten, wenn er von der Arbeit in der Grundversorgung in Angola erzählt, „von den Möglichkeiten Sachen zu entwickeln, die es noch nicht gab – das war einfach toll“. Als er wegen des ausbrechenden Bürgerkriegs acht Jahre später mit Frau und Kindern in die Schweiz zurückkehrte, „war das meine grosse Krise. Ich konnte mir nicht vorstellen, in einem Schweizer Spital am Krankenbett zu arbeiten. Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Ich hatte zu sehr Public Health-Luft geschnuppert, als dass ich wieder „nur“ am Individuum tätig sein wollte“. Dank eines Studiums in Community Health glückte die Reintegration in seine Heimat, und er fand neue spannende Aufgaben im Pflegesektor. 

Gemeinsame Sprache als Türöffner

In einem fremden Gesundheitswesen Fuss zu fassen, ist keine einfache Aufgabe. Kulturelle Barrieren, Missverständnisse und Vorurteile stellen hohe Anforderungen an alle Beteiligten (Sloane et al., 2010). So war denn die Sprache – gesprochen und gelebt – für alle drei Pflegemänner ein Thema. „Obwohl ich seit meiner Einreise Deutsch lernte, verstand ich zu Beginn meiner Berufsausbildung den Schweizer Dialekt nicht. Ich hatte Mühe, mich mit den Bewohnern zu unterhalten. Mimik und Gestik einzusetzen, getraute ich mich anfänglich nicht. Heute geht das zum Glück. Das macht vieles einfacher.“ sagt Hagos. Alexander bestätigt: „Eine gemeinsame Sprache wirkt wie ein Türöffner. Das ist sehr wertvoll“. Er reiste mit guten Portugiesisch-Kenntnissen im Rucksack nach Angola und erweiterte seinen Wortschatz rasch um ein paar Brocken Kikongo. Erwartungen und Missverständnisse lassen sich klären. Wirkliche Vorurteile sind selten, bleiben aber in schmerzhafter Erinnerung. So begegnet die grosse Mehrheit der Patienten Mark mit Respekt. Er sah sich aber auch schon mit Sprüchen konfrontiert wie „du bist nur hier, um Fränkli zu verdienen und überhaupt, gibt es keine Schweizer um uns zu pflegen?“. Manchmal fühlt er sich von Kollegen „als «Deutscher» abgestempelt“. Hagos hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Er wurde im Rahmen seiner Ausbildung während eines Praktikums gefragt: „Wie wird deine Ausbildung anerkannt? Du bist ja nicht von hier.“

Foto: Worldbank Photo Collection / flickr

Pflegemänner – nicht mehr ganz so selten und nach wie vor äusserst willkommen 

In der Schweiz ist heute jede zehnte Pflegende ein Mann, bei den ausländischen Pflegenden gar jede fünfte (Jaccard Ruedin and Widmer, 2010). Als Mark in Deutschland die Ausbildung zum Pflegefachmann absolvierte, waren mehr Männer als Frauen in seiner Klasse. Dieser Trend zeigt sich langsam auch in der Praxis. Hagos stellt fest, dass „immer mehr Männer auf den Stationen arbeiten“. Für ihn ist das nichts Aussergewöhnliches. „In Eritrea studieren vor allem Männer Pflege. Anschliessend arbeiten sie in den Spitälern oder in eigenen Praxen. Frauen haben oft nicht die Möglichkeit zur Schule zu gehen und zu studieren.“ Alexander bestätigt diesen „selection bias“ und hält fest, dass der Pflegeberuf je nach Region geschlechtsspezifisch vollkommen unterschiedlich besetzt ist. „In Angola und Togo etwa sind rund 80% der Pflegenden Männer, während zum Beispiel in Bosnien praktisch keine Männer in der Pflege anzutreffen sind.“ Ob Frauen- oder Männerberuf, für Hagos ist die Motivation wichtig, denn „wenn du als Mann die Einstellung hast, dass die Hilfe an anderen Menschen etwas Gutes ist, dann bist du in der Pflege am richtigen Ort.“ Die Tatsache, dass Pflege in der Schweiz nach wie vor ein Frauenberuf ist, bringt auch Vorteile mit sich – gerade für Männer. Marc schätzt, dass „sich der Pflegeberuf super mit dem Familienleben in Einklang bringen lässt“. Alexander spricht aus, was seine Berufskollegen antönen: „Eigentlich hat man es in der Pflege leichter als Mann. Man(n) ist so willkommen!“

Diversität im Spitalbett – Diversität am Spitalbett!

Doppelte Minderheiten bergen doppelte Chancen. Alle drei Pflegemänner unterstreichen, wie wichtig ihnen „die Begegnung mit anderen Menschen und sich selbst“ ist. Gelingt die Integration am neuen Arbeitsort, tragen sie zur Leistungsfähigkeit des Teams bei. Wie Alexander aus eigener Erfahrung sagt: „Gemischte Teams sind einfach so viel besser. Reine Frauen- oder Männerteams sind etwas Fürchterliches.“ Viele Studien kommen zum gleichen Schluss (Mann, 2012, McKinsey and Company, 2007). Sie betonen aber auch, dass aktive Massnahmen zur Förderung der Teamentwicklung unverzichtbar sind, wenn Menschen mit unterschiedlicher Kultur gewinnbringend zusammenarbeiten sollen. Das gilt besonders für die Pflege, einen Arbeitssektor, der nicht das Paradies ist und die Hölle wäre, ohne die Unterstützung aus dem nahen und fernen Ausland. – So lautet denn unsere Antwort auf die Diversität im Spitalbett – Diversität am Spitalbett!

 

Referenzen

  • Kägi W, Lobsiger M, Morlok M, Frey M, Oswald A. Fachkräftemangel in der Schweiz – Ein Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage in verschiedenen Berufsfeldern. B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG. Studie im Auftrag des  Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO); 2014. http://edudoc.ch/record/115238/files/Fachkra%CC%88ftemangel_Schlussbericht.pdf [Zugriff 1. Juni 2015].
  • Zúñiga F, Ausserhofer D, Serdaly C, Bassal C, Geest S, Schwendimann R. Schlussbericht zur Befragung des Pflege- und Betreuungspersonals in Alters- und Pflegeinstitutionen der Schweiz. SHURP - Swiss Nursing Homes Human Resources Project.  Institut für Pflegewissenschaft, Universität Basel; 2013. https://nursing.unibas.ch/fileadmin/pflege/redaktion/Forschung/SHURP_Schlussbericht__rev_geschuetzt.pdf [Zugriff 1. Juni 2015].
  • Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), OdASanté. Nationaler Versorgungsbericht für die Gesundheitsberufe 2009. Personalbedarf und Massnahmen zur Personalsicherung auf nationaler Ebene. Ein Projekt von GDK und OdASanté. Bern; 2009. http://www.gdk-cds.ch/fileadmin/pdf/Aktuelles/Medienmitteilungen/Versorgungsbericht_Deutsch_20091201_def.pdf [Zugriff 1. Juni 2015].
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  • McKinsey & Company. Women matter. Gender diversity: a corporate performance driver. 2007. http://www.mckinsey.com/features/women_matter  [Zugriff 1. Juni 2015].

 

Clergia Gaudenz, Yuliya Senft und Patrizia Zala
Clergia Gaudenz, Berufsschullehrerin an der Berufsschule für Gesundheit und Soziales in Chur und Masterstudentin am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel. Yuliya Senft, Pflegefachfrau am Universitätsspital Basel und Masterstudentin am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel. Patrizia Zala, Fachexpertin am Universitätsspital Zürich, diplomierte Pflegefachfrau und Masterstudentin am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel.