Eine Fallbeschreibung

Ethisch korrektes Rekrutieren von Gesundheitspersonal

De Gabriele Berger und Jenny Herrnschmidt

Das Rekrutieren von Gesundheitspersonal im Ausland ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung verschiedener Länder. In der EU-Richtlinie 2005/36/EG sind die Voraussetzungen zur Berufsanerkennung von ausländischem Gesundheitspersonal geregelt. Die Einhaltung ethischer Rekrutierungsprinzipien ist dabei elementar. Gewinnorientierte Vermittlungsagenturen mit integrierten Weiterbildungsprogrammen zur Eingliederung in das schweizerische Gesundheitssystem sind umstritten.

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Ethisch korrektes Rekrutieren von Gesundheitspersonal

Foto: Unmeer / flickr

 

Mit dem Anstieg des Durchschnittsalters der Schweizer Bevölkerung steigt auch die Anzahl der Menschen, die das schweizerische Gesundheitssystem krankheitsbedingt in Anspruch nehmen müssen. Das Rekrutieren von ausreichend Gesundheitspersonal wird zunehmend schwierig, ein Trend der sich nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit in entwickelten und auch in Schwellen- und Entwicklungsländern abzeichnet. Schon 2006 schätzte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Anzahl von fehlenden Gesundheitsfachpersonen weltweit auf annähernd 4.3 Millionen (WHO, 2006). Die Gründe für fehlendes Personal sind unterschiedlich: In industrialisierten Ländern führen neben der demographischen Alterung auch eine mangelnde Attraktivität der Gesundheitsberufe durch hohe Arbeitsbelastung oder fehlende berufliche Anerkennung zu einem Personalmangel. Mangelhafte staatliche Strategien, um den Personalbedarf langfristig mit inländischem Personal abzudecken führen dazu, dass fehlendes qualifiziertes Personal aus dem Ausland rekrutiert wird. Demgegenüber sind in Entwicklungsländern das Bevölkerungswachstum, übertragbare Krankheiten wie HIV, Malaria oder Tuberkulose und die Zunahme von chronischen Erkrankungen für einen erhöhten Bedarf an Gesundheitspersonal verantwortlich. Ungenügende staatliche Mittel für den Ausbau der Gesundheitssysteme und die Ausbildung von Gesundheitspersonal, aber auch die Abwanderung von ausgebildetem Personal in Länder mit attraktiveren wirtschaftlichen Perspektiven, verschärfen den Personalmangel (Sordat Fornerod et al., 2010).

Der Domino-Effekt

Die internationale Migration zeichnet sich durch komplexe und dynamische Ströme zwischen den verschiedenen Ländern aus. Gemäss einem Bericht der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, von 2007 (OECD, 2007), gehört auch die Schweiz zu denjenigen Ländern, die am meisten von diesen Strömen profitieren. Das Rekrutieren von Gesundheitspersonal in den angrenzenden Ländern wie Deutschland und Frankreich verstärkt dort den Personalmangel. Diese Länder wiederum rekrutieren ihr Personal ebenfalls im Ausland, was dominoeffekt-artige Migrationszüge auslöst. Ländern am Ende der Migrationskette, wie beispielsweise osteuropäischen Staaten oder Länder in Afrika, steht als Konsequenz daraus zu wenig qualifiziertes Gesundheitspersonal zur Verfügung (Sordat Fornerod et al., 2010).

Der WHO-Verhaltenskodex

Mit dem Fokus des weltweiten Mangels an Gesundheitspersonal haben die Mitgliedsstaaten der WHO, darunter auch die Schweiz, im Mai 2010 einen globalen, allerdings nicht verbindlichen Verhaltenskodex für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften (WHO, 2010b, WHO, 2010a) verabschiedet. Darin sind ethische Grundsätze für die grenzüberschreitende Rekrutierung von Gesundheitspersonal definiert. Er richtet sich an Mitgliedsstaaten und andere Interessensgruppen, zielt auf ein Nutzen-Gleichgewicht zwischen Herkunfts- und Aufnahmeländern und beschreibt die Verantwortlichkeiten der beiden Seiten. Der Kodex hat jedoch nicht zum Ziel, das Recht auf Migration einzuschränken. Folgende fünf Aspekte stellen die Hauptpfeiler des Kodex:

  1. Rekrutierungspraxis: Die Personalsituation in Rekrutierungsländern soll beachtet werden, in Ländern mit Personalmangel soll nicht rekrutiert werden.
  2. Anstellungsbedingungen: Die Wichtigkeit der Gleichstellung, bzw. Gleichbehandlung mit inländischem Personal wird betont.
  3. Internationale Zusammenarbeit: Die Zusammenarbeit zwischen Aufnahme- und Herkunftsländern des Gesundheitspersonals soll verstärkt werden.
  4. Inländisches Personal: Es wird zur Entwicklung von Strategien zum abdecken des Personalbedarfs mit inländischem Personal aufgefordert.
  5. Forschung und Evaluation: Die internationale Migration des Gesundheitspersonals soll mit Datenerhebungen, Forschungsprogrammen und regelmässigen Evaluationen begleitet werden.

Die Fallbeschreibung

Mittels einer Fallbeschreibung soll das komplexe Thema des ethischen Rekrutierens verdeutlicht werden. Nachfolgend wird das Rekrutieren von polnischem Gesundheitspersonal durch die Agentur Curaswiss beschrieben, als Quelle dient unter anderem ein Rundschaubericht vom 04. April 2015.

Die Rekrutierungspraxis von Curaswiss

Curaswiss ist eine Agentur, die sich auf die Rekrutierung und Vermittlung von Gesundheitspersonal aus Polen, Deutschland, Italien und anderen europäischen Ländern spezialisiert hat. Curaswiss steht für ein mehrstufiges Weiterbildungsprogramm, dieses hat zum Ziel, ausländisches Gesundheitspersonal mit dem schweizerischen Pflegeverständnis und den Pflegestandards vertraut zu machen. Mittels Praktika werden die neu erworbenen Kenntnisse vertieft. Weitere Schwerpunkte liegen auf dem Erlernen der deutschen Sprache oder dem Verstehen der Mundartsprache, aber auch dem Kennenlernen von soziokulturellen Aspekten bezüglich des Lebens in der Schweiz.

Das auf polnische Pflegefachpersonen abgestimmte Weiterbildungsprogramm von Curaswiss besteht aus drei Stufen: (a) Pflege Skills Training, Transferpraktikum, Sprache und Leben und Arbeiten in der Schweiz (10 Monate); (b) Praktikum in einem Schweizer Krankenhaus für das Professional Training, (12 Monate); (c) praktische Tätigkeit als qualifizierte Pflegefachperson in einem Schweizer Krankenhaus, weitere Planung der individuellen Weiterbildung, evtl. Start eines Nachdiplomstudiums (12 Monate).

Über die Kosten gibt Curaswiss nur oberflächlich Auskunft. Während des gesamten Ausbildungsprogramms werden die Teilnehmenden durch eine Stipendium von Curaswiss entlohnt (über die Höhe wird keine Auskunft gegeben). Reisekosten zum Arbeitsantritt werden von Curaswiss übernommen und am Ende des Programmes zahlt die Vermittlungsfirma den Pflegefachpersonen eine Abschlussprämie von CHF 20´000.

Foto: Dagmar Domenik, SRK

 

Eine Polin, Frau S., Pflegefachfrau mit Bachelorabschluss, kam über die Agentur Curaswiss in die Schweiz und berichtet von ihren Erfahrungen (SRF, Rundschau. Polinnen für Spitäler; 15.04.2015). Aktuell befindet sie sich in der zweiten Stufe des Weiterbildungsprogrammes, sie absolviert ihr Praktikum in einer Universitätsklinik. Frau S. wird auf ihrer Station als "vollwertige" Dipl. Pflegefachfrau eingesetzt. Sie ist in allen drei Schichten eingeteilt und übernimmt Verantwortung für Lernende/Studierende oder Pflegeassistenzpersonal. Die Universitätsklinik überweist den Lohn nicht direkt an Frau S., sondern an Curaswiss, die den Lohn dann wiederum an Frau S. weiter überweist. In diesem Fall bezahlt die Klinik CHF 6´450 an Curaswiss, Frau S. erhält jedoch lediglich CHF 2´700. Laut Curaswiss kommt die Lohndifferenz wie folgt zu Stande: Curaswiss investiert pro Pflegefachperson ca. CHF 75´000 (für Reisekosten, Ausbildungsprogramm, Unterkunft, Verpflegung, Reisen, persönliches Coaching, etc.). In den Verträgen der Pflegefachpersonen wird allerdings von CHF 22´200 gesprochen, die innerhalb des letzten Praktikums an Curaswiss zurückgezahlt werden müssen. Eine Lohneinbehaltung von Seiten Curaswiss wird in den Verträgen nicht beschrieben. Insgesamt sind die Aspekte der Kosten sehr intransparent.

Die Vertragslaufzeit zwischen Curaswiss und den Pflegefachpersonen beträgt drei Jahre, ohne Möglichkeit früher aus dem Vertrag zurückzutreten.

Frau S. ist sehr enttäuscht von der aktuellen Situation. Sie kam mit dem Wunsch eines besseren Lebensstandards in die Schweiz. Aufgrund ihrer schlechten Entlöhnung sei dieser jedoch jetzt sogar schlechter als zuvor in ihrem Heimatland Polen.

Ethisch korrekt?

Im Folgenden wird die Personalrekrutierung gemäss obiger Fallbeschreibung, stellvertretend als ein Beispiel schweizerischer Rekrutierungspraxis, anhand der Vorgaben des WHO Verhaltenskodex (WHO, 2010b, WHO, 2010a) beleuchtet:

Rekrutierungspraxis: Die Aussicht auf höhere Löhne und bessere Anstellungsbedingungen führt in Polen, das offiziell nicht als Land mit gravierendem Gesundheitspersonalmangel gilt (OECD, 2014), zu einer hohen Abwanderung von qualifizierten Fachkräften ins Ausland (Hansel, 2015). Das fehlende Personal in Polen wird in der Folge aus der Ukraine rekrutiert, einem Land mit bekanntem Gesundheits-Personal-Mangel. Direkt und indirekt über einen Domino-Effekt, unterstützt die Schweiz somit den Personalmangel in diesen Ländern. Aus diesem Grund entspricht die Rekrutierungspraxis in diesem Punkt nicht vollumfänglich den Vorgaben des WHO-Kodex.

Anstellungsbedingungen: Das Fallbeispiel zeigt eine massive Lohndifferenz zwischen inländischem und ausländischem Pflegefachpersonal bei gleichen Aufgaben- und Verantwortungsgebieten. Die Differenz entsteht durch den Lohn-Einbehalt durch Curaswiss während der sogenannten Praktika der Pflegefachpersonen. Dieses Ungleichgewicht widerspricht der Kodex-Forderung nach Gleichstellung von aus- und inländischem Personal.

Internationale Zusammenarbeit: Die offizielle Schweiz engagiert sich im Ausland, beispielsweise in Polen, als Partnerland des Schweizer Erweiterungsbeitrages, mit Projekten zur Verminderung von wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten. Mindestens zwei von 58 Projekten zielen dort auf Verbesserungen im Gesundheitswesen ab (Eidgenossenschaft and EDA, 2015). Die Forderung nach einer Stärkung der internationalen Zusammenarbeit wird somit unterstützt.

Inländisches Personal: Gemäss Herrn Heiniger, dem Vizepräsidenten der schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und –direktoren (GDK), sollte in der Schweiz besonderes Augenmerk auf folgende Punkte gelegt werden: Stärkung der eigenen inländischen Rekrutierung von Gesundheitspersonal, fokussieren auf die inländischen Ausbildungen, Strategieentwicklung zur Erhöhung der Verweildauer innerhalb des Berufes und Förderung von Quer- und Späteinsteigern. Diese Strategien decken sich mit den Vorschlägen des WHO Kodex.

Forschung und Evaluation: Forschungsprogramme, Datenerhebungen über Rekrutierungsstrategien- und -prozesse als auch regelmässige Evaluationen sind anzustreben. Auf diese Weise soll die Rekrutierung von Gesundheitspersonen transparenter und überprüfbarer werden.

Allgemein gilt noch hervorzuheben: Das polnische staatliche Diplom als Pflegefachperson (meist Bachelor oder Master Abschluss) ist durch die EU-Richtlinie 2005/36/EG (Kommission, 2015) in der Schweiz grundsätzlich anerkannt. Die Pflegefachpersonen sind demnach direkt zur Berufsausübung berechtigt. Ausser nachzuweisenden Sprachkompetenzen in der betreffenden Landessprache werden eigentlich keine zusätzlichen Weiterbildungs- oder Integrationskurse verlangt (SRF and Rundschau, 2015).

Die gewinnorientierte Rekrutierungspraxis von Curaswiss ist umstritten, dies umso mehr, da es gemäss EU-Richtlinie ausser der verlangten Sprachkenntnisse keine weiteren Gründe für ein mehrjähriges Weiterbildungsprogramm gibt.

Mehr Verantwortung ist angesagt

Die weltweite Migration von Gesundheitspersonal ist seit langem eine Realität und wird auch in Zukunft in vielen Ländern eine wichtige Rolle zur Aufrechterhaltung der Gesundheitssysteme spielen. Aus diesem Grund ist das Beachten ethischer Rekrutierungsprinzipien umso wichtiger. Das Ziel muss eine für Herkunfts- und Aufnahmeländer ethisch vertretbare Rekrutierungspraxis sein. Der WHO-Kodex gibt dabei die Richtung vor. Die offizielle Schweiz und mit ihr die vielen verschiedenen Player im Gesundheitswesen müssen weiterhin Anstrengungen unternehmen, um die WHO Vorgaben umzusetzen und ihre Verantwortung für den globalen Mangel an Gesundheitspersonal zu übernehmen.

Ein Hauptaugenmerk muss noch verstärkt auf dem Einsatz von inländischem Gesundheitspersonal liegen, einerseits durch Ausbau der Ausbildungen, andererseits aber auch durch gezielte Strategien, um das vorhandene Personal nachhaltig im Beruf zu halten.

Als weiterer zentraler Punkt ist das Vermeiden von finanzieller Diskriminierung zwischen ausländischem und inländischem Personal zu beachten. Eine transparente Zusammenarbeit zwischen Curaswiss oder anderen ähnlichen Organisationen und den betreffenden Spitälern wäre hier ein wichtiger Schritt.

Referenzen

 


Gabriele Berger und Jenny Herrnschmidt
Gabriele Berger W., Pflegefachfrau BScN, Pflegeexpertin auf der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie im Inselspital Bern, Masterstudentin und wissenschaftliche Assistentin am Institut für Pflegewissenschaft Basel, Jenny Herrnschmidt, Pflegefachfrau BScN, Stellvertretende Stationsleitung und Fachverantwortliche auf der Akutrehabilitation und Geriatrie im Spital des Sensebezirks Tafers, Masterstudentin am Institut für Pflegewissenschaft Basel,