Schweizer Unternehmen zerstören die Umwelt und die öffentliche Gesundheit in Lateinamerika
Teilansicht des Antapaccay-Minengeländes in Peru. Foto: © Comundo/Jacob Balzani-Lööv

Marisol Hofmann engagiert sich seit zwei Jahren an der Seite der Arbeitsgruppe Klimawandel und Gerechtigkeit (Grupo de Trabajo Cambio Climático y Justicia, CTCC-J) in Santa Cruz, der Wirtschaftsmetropole Boliviens. «Gesundheit ist ein Grundrecht. Der wahllose Einsatz von Pestiziden ist ein Verstoss gegen dieses Recht», erklärte Adriana Montero, Regionalkoordinatorin der GTCC-J, empört. Das Netzwerk setzt sich für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung ein und hat gerade eine Untersuchung über die gesundheitlichen Folgen der Pestizidexposition in vier ländlichen Gemeinden des Departements, dessen Wirtschaft stark von der Agrarindustrie abhängt, abgeschlossen.

Daraus geht hervor, dass sich die Einfuhr von Pestiziden nach Bolivien innerhalb von zwei Jahrzehnten fast versechsfacht hat, Informationen basierend auf den Recherchen der Mitgliedsorganisation Fundación Solón. Ganz zu schweigen von den geschmuggelten Produkten, die bis zu 35% der gehandelten Pestizide ausmachen sollen. Laut der Online-Zeitschrift "La Brava"sind 13 der 15 Pestizide, die 2023 am häufigsten importiert wurden, in vielen anderen Ländern verboten, da sie als sehr gefährlich gelten. Ganz oben auf der Liste stehen Paraquat und Glyphosat, aber auch Spirodiclofen.

Giftcontainer säumen die bolivianischen Landschaften. Foto: © Comundo
Giftcontainer säumen die bolivianischen Landschaften. Foto: © Comundo

Diese Produkte sind für die extensive Landwirtschaft gedacht, werden aber auch von Kleinbauern und -bäuerinnen eingesetzt, die besonders gefährdet sind, da sie eher unzulässige Produkte erhalten und sich der Risiken nicht bewusst sind. «Ein Drittel der Landwirte schützt sich nicht während der Anwendung. Die leeren Behälter dieser Produkte werden oft ohne spezielle Reinigung für andere Zwecke verwendet, ich habe sogar Kinder damit spielen sehen», berichtet Gustavo Paredes, ein Arzt und Epidemiologe für öffentliche Gesundheit.

«Die unsachgemässe Verwendung dieser Produkte hat kurz- wie langfristige Auswirkungen. Eine direkte oder indirekte Exposition kann zu akuten und chronischen Vergiftungen und Störungen bis hin zu neurologischen oder onkologischen Problemen, Leukämie, Anämie etc. führen. In San Pedro wurde beispielsweise bei den über 45-Jährigen eine Diabetesrate von 15% festgestellt, fast dreimal so hoch wie im internationalen Vergleich.»

Cristina und Fran am Ufer des verseuchten Flusses. Foto: © Comundo/Jacob Balzani-Lööv
Cristina und Fran am Ufer des verseuchten Flusses. Foto: © Comundo/Jacob Balzani-Lööv
Als sie mit Fran schwanger war, versorgte sie sich mit Wasser aus einem Fluss, der damals zur Forellenzucht genutzt wurde. «Erst viel später wurde uns gesagt, dass das Wasser nicht trinkbar war», erzählt sie. Heute ist sie überzeugt, dass Fran deshalb behindert ist. Zu Recht ...

Ernsthafte Gefahren für die öffentliche Gesundheit

Zu denselben Erkenntnissen gelangt Thomas Niederberger, Comundo-Kooperationspartner bei CooperAcción in Peru, wo er indigene Gemeinschaften in ihrem Kampf für einen umweltfreundlichen und geregelten Bergbau unterstützt. Die Abbaugebiete zahlen nämlich einen hohen Preis und entvölkern sich, da der Abbau extrem zerstörerisch für Umwelt und Gesundheit ist und die Rechte der Bewohner:innen missachtet.

Niederberger traf Cristina Choque und ihren Sohn Fran in Espinar, in der Nähe der Kupfermine Tintaya-Antapaccay, die sich im Besitz von Glencore befindet. Cristina ist hier aufgewachsen und hat alle Veränderungen seit der Eröffnung der Mine miterlebt, die so gross ist wie Liechtenstein. Als sie mit Fran schwanger war, versorgte sie sich mit Wasser aus einem Fluss, der damals zur Forellenzucht genutzt wurde. «Erst viel später wurde uns gesagt, dass das Wasser nicht trinkbar war», erzählt sie. Heute ist sie überzeugt, dass Fran deshalb behindert ist. Zu Recht ...

Tatsächlich ist erwiesen, dass der Grossteil der Bevölkerung von Espinar überhöhte Schwermetallwerte im Blut aufweist, auch wenn Glencore immer die «natürliche Mineralisierung» des Bodens verantwortlich gemacht hat. Denn seit Kurzem liegt eine umfassende Studie vor, die von der nationalen Umweltbehörde in Auftrag gegeben wurde. CooperAcción hatte Zugang dazu, und ihr Bericht bestätigt, dass «das Sickerwasser aus der Halde Tintaya die chemische Zusammensetzung des Grundwassers beeinträchtigt».

Die Studie1 belegt «schwere Verstösse des Unternehmens gegen die grundlegenden Informations- und Konsultationsrechte der indigenen Bevölkerung», eine «Verseuchung des Wassers und des Körpers der Bevölkerung [...] und ein ernsthaftes Risiko für die öffentliche Gesundheit: Der Konsum des Wassers kann bei Kindern unter 5 Jahren Anämie und chronische Unterernährung verursachen», «eine Exposition gegenüber gefährlichen Werten von Arsen, Kadmium, Mangan, Blei, Kupfer, Quecksilber, Thallium und verschiedenen Chloriden» und «einen pH-Wert des Wassers, der zwischen 7.7 und 9 liegt»!

Nun geht es darum, die Ergebnisse publik zu machen und zu verbreiten. Sie werden den Betroffenen ermöglichen, rechtliche Schritte einzuleiten, um eine Entschädigung zu erhalten. Auch wenn die Mühlen der peruanischen Justiz langsam mahlen, der Rechtsweg steinig ist und die internationalen Mechanismen der Unternehmenshaftung wenig wirksam sind.

Tatsächlich ist erwiesen, dass der Grossteil der Bevölkerung von Espinar überhöhte Schwermetallwerte im Blut aufweist, auch wenn Glencore immer die «natürliche Mineralisierung» des Bodens verantwortlich gemacht hat.
Blutabnahme bei einer Landwirtin für eine Studie über die gesundheitlichen Folgen von Pestiziden. Foto: © Comundo
Blutabnahme bei einer Landwirtin für eine Studie über die gesundheitlichen Folgen von Pestiziden. Foto: © Comundo
Die Studie belegt «schwere Verstösse des Unternehmens gegen die grundlegenden Informations- und Konsultationsrechte der indigenen Bevölkerung», eine «Verseuchung des Wassers und des Körpers der Bevölkerung [...] und ein ernsthaftes Risiko für die öffentliche Gesundheit.

Und was ist mit der Schweiz?

Länder wie Bolivien oder Peru, in denen die Regulierungen schwächer und die Risiken somit höher sind, sind die bevorzugten Spielplätze der Agrochemie- und Bergbaugiganten. Eine bahnbrechende Untersuchung von Public Eye und Unearthed zeigt beispielsweise, dass die fünf grössten Agrochemiekonzerne der Welt, darunter das Schweizer Unternehmen Syngenta, dort ein Drittel ihres Pestizidumsatzes mit Substanzen erzielen, die extrem gesundheits- und umweltschädlich sind. Auf der anderen Seite werden im Bergbau und Rohstoffhandel gigantische Summen erwirtschaftet: Schätzungen zufolge haben die Schweizer Bergbauunternehmen Glencore und Xstrata seit 2006 in Espinar über 10 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet und einen Nettogewinn von rund 9 Milliarden US-Dollar erzielt.

Die Bemühungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie GTCC-J oder CooperAcción reichen nicht aus, um die Gesundheit der Bevölkerung und die Umwelt zu schützen. Umso wichtiger ist es, von der Politik mehr Kohärenz und von Banken und Unternehmen mehr Ethik und Verantwortung einzufordern, damit Umwelt- und Sozialstandards eingehalten und die Opfer entschädigt werden. An Geld mangelt es nicht …

Länder wie Bolivien oder Peru, in denen die Regulierungen schwächer und die Risiken somit höher sind, sind die bevorzugten Spielplätze der Agrochemie- und Bergbaugiganten. Eine bahnbrechende Untersuchung von Public Eye und Unearthed zeigt beispielsweise, dass die fünf grössten Agrochemiekonzerne der Welt, darunter das Schweizer Unternehmen Syngenta, dort ein Drittel ihres Pestizidumsatzes mit Substanzen erzielen, die extrem gesundheits- und umweltschädlich sind.

Comundo

Als Organisation für Entwicklungszusammenarbeit durch Personenaustausch (CEP) unterstützt Comundo seine lokalen Partnerorganisationen in Lateinamerika und Afrika, indem es im globalen Norden qualifizierte und motivierte Personen rekrutiert, die vor Ort an der Erreichung der von ihnen identifizierten Ziele mitarbeiten. Diese Fachpersonen stehen im Mittelpunkt unseres Engagements für mehr soziale Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen für benachteiligte Kinder, Jugendliche, junge und ältere Menschen. Sie sind unsere wichtigsten Akteure für Veränderungen während ihres Einsatzes und darüber hinaus, auch in der Schweiz.

    • Kurzfassung der Studie auf Englisch: "Glencore in Peru: The Antapaccay case and an analysis of compliance with international human rights due diligence standard" (openrepository.com). https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream...
    • Die vollständige Studie liegt nur auf Spanisch vor: "Glencore en el Perú: El caso de Antapaccay y un análisis del cumplimento de los estándares internacional en materia de Debida Diligencia en DD.HH - CooperAcción" (cooperaccion.org.pe). https://cooperaccion.org.pe/publicaciones/glencore...
Philippe Neyroud
Philippe Neyroud war von März 2021 bis Februar 2024 als Direktor und Kommunikationsverantwortlicher von Comundo in der Westschweiz tätig.
Marisol Hofmann
Marisol Hofmann, Journalistin aus dem Berner Jura, ist Kommunikationsbeauftragte und spezialisiert auf Umweltfragen im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Pestiziden und dessen Folgen für Gesundheit und Umwelt sowie der Ausbeutung natürlicher Ressourcen in der Region des bolivianischen Ostens. Email
Thomas Niederberger
Thomas Niederberger, Anthropologe und Journalist aus Zürich, ist auf die Rechte indigener Völker und Konflikte im Zusammenhang mit Bodenschätzen im peruanischen Amazonasgebiet und in den Anden spezialisiert. Email